Sonnenuntergang Auroville

Wieviele Sinne haben wir?


Manchmal frage ich mich, was ich eigentlich während meines Philosophiestudiums in Heidelberg gelernt habe (und ja, vielleicht hätte ich mehr von den Spinoza und Bergson Seminaren besuchen sollen).

Bei all den Diskussionen über Wahrnehmung und Bewusstsein haben wir immer die fünf Sinne thematisiert, Sehen, Hören, Schmecken, Tasten, Riechen. Dies, so lernen wir in der aufgeklärten Philosophie, seien alle die wir haben. Als ich dann in einem Seminar lernte, dass die Propriozeption, also die nach innen gerichtete Körperwahrnehmung, ein sechster Sinn sein könnte, galt das als Revolution.

Diese Sinne sind in der Theorie so angelegt, dass sie vom Bewusstsein aus bis zu dem Punkt reichen, wo die Außengrenzen des Körpers mit der Welt interagieren:
– Schallwellen treffen auf das Trommelfell
– Geruchsstoffe auf die Nasenschleimhäute
– Geschmacksstoffe auf die Zunge
– Der Tastsinn auf Objekte
– Licht auf die Retina

Was hinter den Körperschnittstellen in der Außenwelt liegt, die Welt an sich also, darüber können wir nichts anderes sagen als das, was uns mittels der Sinne zur Verfügung gestellt wird (Descartes). Sie ist konstruiert (Kant), in einer Epoché ausgeklammert (Husserl), jenseits der Sprache (Wittgenstein), falsifizierbar (Popper), Struktur (Saussure) etc….

Sprache

Jene banalisierten fünf Sinne haben wir in der kulturellen Evolution angeblich erweitert: mit Brillen und Mikroskopen oder Teleskopen, mit Roboter-Exoskelette, oder Mikrofone bzw. Lautsprecher (ich denke an Marshall McLuhan).

Innerhalb des Bewusstseins gibt es also einen Zulieferer von Daten (die Sinne), die durch das Bewusstsein vereint werden und ein innerliches Bild ergeben, ein Abbild der Außenwelt. Diese Abbilder der Außenwelt sind einem wie auch immer gearteten ich gegeben. Dieses ist zu mindestens eine selbstreferenzielle Struktur („Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können„, Kant)

Innerhalb des Bewusstseins selbst können wir dann feiner differenzieren: Wie sind die Bewusstseinsgehalte zusammengesetzt, was ist Erinnerung und Erwartung, Traum und Erkenntnis. Wie werden Bewusstseinsinhalte Sprache zugeordnet und welchen Sätzen korreliert welches Bewusstsein, und wann können wir dann von wahren Sätzen sprechen und wann von falschen? Da kann man dann schließlich tief in die Sprache eindringen oder in die Phänomenologie, oder die Neurowissenschaften etc…

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Ich möchte nochmal bei den fünf Sinnen ansetzen, weil hier etwas schiefgelaufen ist, und das Denken dann eben auch in die falsche Richtung läuft.

Die Upanischaden sind da viel klarer. Hier wird von 11 Sinnen gesprochen: 5 Sinne des Wissens – Nase, Zunge, Augen, Ohren, Haut – und 5 Sinne der Aktion – Hände, Füße, Anus, Geschlecht, Sprechen – und der elfte Sinn, das Wissen, das dann alles zusammenbringt.

Die Sinne sind hier nicht schon als skeptizistischer Super-GAU angelegt (als ein Gehirn im Aquarium, das trügerisch fünf Typen von Sinnesinformationen zugespielt bekommt, ich denke hier an Descartes), sondern als die realen Kontaktpunkte unseres Körpers zur Welt.

Das ist doch eine ganz andere Ausgangslage, die Welt zu beschreiben. Der Körper wird hier ernst genommen, er ist in der Welt, interagiert mit ihr, über mindesten 11 Kontaktpunkte. Das Wissen ist ein Wissen um das sein in der Welt, um den eigenen Körper und die Möglichkeit zu agieren und zu wissen, aber auch in Wissen um ein größeres Bewusstsein. Das Problem des Dualismus der westlichen Philosophie in der Nachfolge von Descartes wird hier gedehnt, auseinandergezogen, klarer. Es löst sich, nicht auf, sondern wir transformiert, flüssig, ineinanderfließend (intermiscence).

Zwischen den Extremitäten und Sinnesorganen und dem Denken selbst ist der Körper. Der Körper ist nicht nur materiell gedacht, sondern biologisch, als lebender Körper, der eine Lebenskraft (ich denke hier an Bergson) hat. Auch diese können wir eigentlich nicht wirklich leugnen, wir erfahren sie immerzu. Sie hat ihren Ursprung in Purusha – der Weltseele, das reine Bewusstsein (Chit) Purusha ist Ausgangspunkt von allem.

Prusha entgegengesetzt ist Prakriti. Die Natur in ihrer Urmaterie, mit drei Eigenschaften ausgestattet: Trägheit (Materie?), Energie, und Harmonie. Und es wäre nun wirklich zu einfach so ein Schema aufzumachen, Purusha und Prakritit sind zwei Seiten von Shiva….

In den Upanischaden gibt es ein unglaublich komplexes System von 7 Ebenen:

  1. Materie
  2. Leben
  3. Geist
  4. Wissen (Vijnana)
  5. Bliss (Ananda)
  6. reines Bewusstsein (Chit)
  7. reine Existenz (Sat)

Und das ist nur der Anfang. Wieso denken wir im Westen so banal rein in der Dualität von Geist-Materie?

Wer denkt beim Denken?

So richtig interessant wird es in Aurobindos Kommentaren zu den Kena Upanishaden (Vol 18 Upanishads-II : Kena and Other Upanishads) und den Kommentaren in den Hymns to the Mystic Fire (Vol 16).

Mehr dazu später hinter dem Konzept der Intermiscence (ineinanderfließen).

 

p.s. Kann es wirklich sein, dass in der westlichen Philosophie ueber Jahrhunderte oder gar Jahrtausende die Sexualorgane nicht als Sinne mitgemacht wurden?

 

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