Das Missverständnis der Kunst: Eine neue Perspektive ohne Repräsentation

Kunst wird gerade von den Experten, den Kunsthistorikern und Kritikern im Kern missverstanden. In der Kunst geht ja nicht darum, was sie darstellt, oder was sie bedeutet. Kunst ist kein Rätsel, das es zu entschlüsseln gilt, und es ist auch kein Ausdruck eines Kunstgenies, das über die Künstlerbiografie erklärt werden kann. Kunst ist auch nicht notwendig schön, oder ästhetisch, oder sublim.

Repräsentation

Kunst ist keine Repräsentation, das ist das große Missverständnis der Moderne. Erst aus diesem Missverständnis resultiert die Avantgarde. Ihr ging es darum, immer neue Formen der Repräsentation zu erfinden, neue Phänomene zum ersten Mal auszudrücken. Ich denke an das Unterbewusste, an die Konzeption vom vierdimensionalen Raum, synästhetischer Wahrnehmung, Funktionalismus, Technikbegeisterung. Diese und viele andere Phänomene aus dem 20. Jahrhundert wurden ‚Gegenstand‘ von Kunst. Wenn etwas ‚Gegenstand‘ von Kunst ist, dann repräsentiert Kunst diesen ‚Gegenstand‘, sie bildet ihn ab – so die gängige Kunsttheorie. Das Kunstverständnis, das hier zugrunde liegt, ist eines, das dem Fortschrittsglauben nachhängt, eine objektive Entwicklung einer Geschichte der Kunst postuliert, auf Prinzipien einer rationalen Geschichtsschreibung beruht. All diese Ansätze haben in einem begrenzten Rahmen eine gewisse Erklärungskraft. Sie erhellen bestimmte Aspekte. Sie missverstehen aber das Wesen der Kunst.

Wenn ich mich so weit aus dem Fenster lehne und die gängigen Kunstdiskurse des Westens in einem Absatz angreife, so muss ich natürlich auch kurz sagen, was ich dem entgegensetzen möchte. Es sind einige Essays von Roland Barthes, einem großen Semiotiker bzw. Semiologen und französischen Kunstkritiker. Seine Texte zeigen die Grenzen des Repräsetierbaren in der Kunst auf. Und ich denke natürlich an Gilles Deleuze, der wesentlich weiter und radikaler gedacht hatte und Kunst als eine Begegnung (Encounter) charakterisierte. Mit ihm verbinde ich eine radikale Kritik am Dogma der Repräsentaionstheorie der Kunst. Kunst hat eigentlich überhaupt nichts mit Repräsentation zu tun. Die Vorstellung, dass etwas für etwas anderes steht, ist eigentlich absurd. Sie führt in all die Probleme des Dualismus, seine Paradoxien und Scheinprobleme. Ein Text, ein Bild, eine Komposition, ein Theaterstück, eine Oper oder eine Skulptur, selbst eine Fotografie, sie alle repräsentieren nichts. Vielmehr sind sie ganz besondere Dinge in der Welt, die uns eine ganz besondere Erfahrung ermöglichen. Die Tatsache, dass sie manchmal anderen Dingen ähnlich sind, ist trivial und kaum interessant.

Begegnung

Wenn ich sage, dass Kunst eine Begegnung ist, oder sie ermöglicht, dann heißt das, dass die Kunstwerke das Resultat eines kreativen Prozesses sind. Der Unterschied zwischen dem Künstler als dem Produzenten von Werken und den Betrachtern als den Rezipienten ist dabei wesentlich kleiner als man allgemein annimmt. Kunst ist kein Objekt der Kommunikation zwischen Künstler und Betrachter. Kunst ist auch kein Medium zwischen einem Sender und einem Empfänger. Und Kunst ist auch kein Zeichen, dass dekodiert werden kann.

Kunst ist Kunst. Versuchen wir einmal, sie nicht sofort auf irgendetwas zu reduzieren. Kunst wird hervorgebracht und wird Teil von Welt. Sie wirkt, wie alles andere in der Welt auch. Es gibt sehr verschiedene Wirkungsweisen, ich denke hier ein wenig an Schopenhauer’s vierfache Wurzel von Satze des zureichenden Grundes. Ich variiere frei: es gibt mechanisch kausale Wirkung, es gibt die Dynamik lebendiger, d.h. biologischer Systeme und es gibt soziale Interaktion als Wirkung, es gibt Inspiration und Kreativität. Ihre Wirkungsweisen sind unterschiedlich. Ich möchte hier behaupten, dass sie irreduzible sind.

Kunst ist Kunst. Sie wird hervorgebracht und steht in Wirkungszusammenhängen. Wir können ihr begegnen. Die Begegnung mit Kunst ist dabei nicht nur Menschen vorbehalten. Einige Tiere haben sie auch, wenn auch in begrenzten Umfang, und vielleicht wird die künstliche Intelligenz hier auch noch Fortschritte machen.

Bei Deleuze lernen wir, dass:

  • der Kinematograph einen Film erzeugt und abspielt, der Denken manifestiert (Deleuze ‚Cinema‘).
  • Kunst für uns nicht nur wie ein Haus ist, sondern ein Haus ist. Als Menschen stehen wir zwischen Erde und Himmel – dem Kosmos. In dieser Spannung brauchen wir eine Begrenzung, ein Zuhause. Wir brauchen ein Territorium, das wir unseres nennen und wir müssen es verlassen könne, wir deterritorialisiern und reterritorialisiern. Der Kunst kommt hier eine ganz wesentlich Rolle zu. In der Begegnung mit anderen, mit der Erde und dem Kosmos erbauen wir ein Haus, das ist das Grundprinzip der Kunst. Wir bewohnen das Haus, besuchen andere Häuser. Das ist natürlich sowohl wörtlich wie metaphorisch gemeint (Deleuze ‚What is Philosphy‘).
  • unsere Sinne bei der Begegnung mit Kunst mit der Kunst selbst verschmelzen. Unsere Augen, Ohren, Geschmack und Tastsinne vibrieren beim Kontakt mit der vibrierenden Kunst (Deleuze ‚Logic of Sensation‘).

Was Deleuze vermeidet, und erst in seinem letzten Essay ‚Immanenz: A life‘ andeutet, ist eine spirituelle Komponente. Teil unseres in der Welt sein ist unser Verhältnis zu den großen Sinnfragen. Ein Laben, das sich seines selbst – wenn nicht voll so doch reich – bewusst ist, versteht sich als Teil eines Ganzen. Diese Relation wird auch in der Kunst zum Thema. Wir können der Kraft der Schöpfung begegnen. Bei Aurobindo hat die Kunst die Fähigkeit Bhakti zu fördern, d.h. ein Medium der Hingabe zu sein – eine Begegnung mit dem Göttlichen – nicht in Form einer Repräsentation des Göttlichen wie im Christentum, sondern als Meditationsobjekt, das bei einer kontemplativen Hingabe den Pfad von Bhakti erleichtert.

Mich interessiert die Relation von Deleuze‘ Begriff von Kunst als Haus und Aurobindo‘ Konzept von Kunst als Bhakti in den Tempeln. Mir scheint hier eine Parallele zu sein. Beide führen aus der Sackgasse der Repräsentation hin zu einem Konzept, das der spirituellen Erfahrung gerechter wird.

Hier ein Link zu einer langen Präsentation (35MB) mit Material zu der Frage, warum ich als Kunsthistoriker Deleuze lese.

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