Am Anfang war das Wort

Gestern hatte ich ein langes Gespräch über den Ursprung des Denkens. Was kommt zuerst, die Worte oder die Gedanken. Es gibt natürlich ganz unterschiedliche Formen des Denkens. Ein visuelles, musikalisches, analytisches, synthetisches, performatives Denken etc… Es gibt ein Denken auf der Ebene der Intuition, es gibt ein Denken in der Erinnerung, es gibt die Vision und Eingebung. Es gibt so viele Arten des Denkens. Was ist Denken? Wer denkt beim Denken? Wie unterscheidet es sich von Bewusstsein?

Vieles innerhalb meines Bewusstseins ist kein Denken, es ist sinnliche Wahrnehmung, Kontemplation, Tagtraum, es gibt unbewusste und unterbewusste Prozesse. All dies ist streng genommen kein Denken. Denken ist ein Nachdenken, es ist eine Reflexion über die Welt, es ist ein Versuch, die Welt zu verstehen und zu begreifen. Es ist weitestgehend analytisch. Wenn ich etwas sinnlich wahrnehme, so ist mir da erstmal einfach innerhalb meines Bewusstseins etwas gegeben. Wenn ich darüber nachdenke, was ich da sehen, dann gebe ich Dingen Namen, ich identifiziere Eigenschaften, ich beschreibe Aktionen. Dies ist meine Art, die Welt zu verstehen. Die Beschreibung von Welt in Form eines gedachten Texts, erlaubt es mir tiefere Zusammenhänge zu sehen: Funktionsweisen, Kausalitäten, Prinzipien…

Wo kommt aber ein Gedanke her? Wie entsteht er? Es gibt intertextuelles Denken, d. h. ich lese oder höre zu und reagiere auf Text mit Text, verbinde viele Texte … das ist eher akademisch. Es gibt ein Denken des aktiven Zuhörens und der Kommunikation. Menschen, die sich zuhören und gemeinsam denken, erkunden einen Gedanken gemeinsam. Dieses zuhörende und kommunikative Denken ist spannend. Jemand sagt etwas, ein anderer versteht etwas, hoffentlich deckt sich das weitestgehend, denn identisch wird es nie sein. Nun gibt ist hier viele Dialoge, die relativ standardisiert ablaufen. Allgemeinplätze werden ausgetauscht, oder Standardpositionen verglichen, wie bei einem Schachspiel … es gibt aber auch den philosophischen Dialog, das gemeinsame Fragen. Die Frage zum Beispiel: Was ist Denken? Wie antwortet man auf diese Frage? Wie denkt man darüber nach?

Empfindungen und Eindrücke

Ich habe neulich Deleuze Essay über David Hume gelesen. Hume sagt, alles fängt mit ‚Sensation‘ oder ‚Impression‘ Empfindung oder Eindruck an. Wenn ich etwas empfinde und es dann benenne, dann ist hier der Anfang des Denkens. Ich kann Objekte wahrnehmen, Eigenschaften abstrahieren, Kausalität postulieren, Aussagen machen, Tatsachen feststellen. Wie kann ich aber Empfindungen und Eindrücke festhalten? Wie kann Materie ein Gedächtnis haben? Wie kann mein Bewusstsein Bilder haben? Dies sind die Fragen Henri Bergsons.

Was ist die Relation zwischen der Außenwelt und den Bewusstseinsbildern, die dann in Sprache strukturiert zu Gedanken werden? Muss Sprache nicht a priori schon als möglich angelegt sein, um sich selbst zu Ausdruck zu bringen? Chomsky sagt, unser Gehirn und vielleicht auch das von Tieren hat eine allgemeine Sprachfähigkeit eingebrannt. Die Bibel fängt an mit: Am Anfang war das Wort. In den Veden und Upanischaden findet sich etwas Ähnliches. In den Veden allerdings ist es nicht nur Sprache, die schon zu Anfang da war, sondern ein ganzes Wissenssystem, das verschiedene Bewusstseinsebene umfasst und den Menschen als Mikrokosmos versteht. Alles, was ich denken kann, kann auch existieren und alles, was existiert, kann auch gedacht werden. Wahrscheinlich brauchen wir als Spezies da noch viele Generationen. Aber es wird eine Korrespondenz postuliert zwischen der Welt und dem Bewusstsein. Sie sind eins, nondual.

Deleuze Denken kreist darum, wie Gedanken aus einer Ebene der Immanenz entstehen. Wie diesen Gedanken sich verbinden und sich zu komplexen Systemen verbinden. Er nennt das z. B. abstrakte Maschinen, Diagramme, Rhizome, Plateaus etc… So können sich Wörter, Gedanken, Dinge, Strukturen, Macht, Kunst, das Unbewusste und das Abstrakte usw. verbinden. Die Welt bringt sich so zum Ausdruck, in ihr gibt es Leben (A Life). Dies ist zugleich das Grundprinzip der Upanischaden, Brahman bringt sich durch die Erschaffung der Welt selbst zum Ausdruck. Eine Exitenz muss auch den Prozess und die Veränderung beinhalten. Nur deshalb existiert diese Realität.

Der Mensch hat bis jetzt, soweit wir wissen, die komplexeste und wildeste Ebene von Realität innerhalb des Denkens erschaffen. Nimmt man all die verschiedenen Sprachen, Kulturen, Religionen, Gesellschaftsformen zusammen, so wird klar, dass hier etwas zum Ausdruck kommt, sich etwas manifestiert. Dies ist das. This is that.

Ursprung des Denkens

Der Ursprung des Denkens ist also nur auf einer Ebene in der Empfindung. In der spirituellen Praxis ist die innere Einkehr und die habituelle Praxis (Meditation und Yoga) der Schlüssel zu einem ursprünglichen Denken, das sich aus Reiz-Reaktionsschemata befreit. Die Schriften und Lehren, die Rituale und Übungen dienen einer Selbstformung, die es erlaubt, hinter die Oberfläche der sinnlichen Gewissheit zu schauen. Das Denken, das hier möglich wird, geht weiter als das bloße Erkennen von kausalen Zusammenhängen. Es geht auch weiter als die rationale Reflexion über Probleme der Ethik, Ästhetik und Erkenntnis. Der rationale Geist hat es geschafft, das Anthropozän einzuleiten, ein Terraforming, das einmalig ist, soweit wird wissen. Dennoch bleiben die existenziellen Fragen von dieser Art des Denkens unberührt.

Es bleibt also die Frage nach dem Ursprung des Denkens. Stand am Anfang das Wort? Das Wort steht für Sprache, diese kann vieles einfangen. Versteht man Sprache als symbolisches System, das auch visuell, musikalisch oder performativ verstanden werden kann, so könnte man sagen, dass das Denken selbst immer Sprache ist. Das umfasst aber nur einen kleinen Teil unserer Existenz. Unser Bewusstsein ist weiter, unsere physische Existenz, unsere Lebenskraft (Prana) unser Intellekt (Buddhi), Gedächtnis (Manas), unsere Identität (Ahankara) unsere Spiritualität (Satchitananda), all dies geht über das Denken hinaus. Das Denken kann es reflektieren und beschreiben, es ist aber selbst kein Denken.

Ich frage mich immer wieder, wie das am Anfang des Denkens aussah. Vor vielen tausend Jahren … Ich erinnre mich, wie wir einst eine Katz begraben wollten. Unsere (lebende) Katze war irritiert von dem Karton. Als der Karton mit dem Kadaver weg war, führte unsere Katze ein sehr ausführliches Ritual durch. Wir hatten das noch nie gesehen, obgleich es eine ältere Katze ist und wir seit sehr langer Zeit zusammengelebt haben. Es war klar, dass unsere Katz hier auf den Tod eines Artgenossen reagiert. Es gibt viele Geschichte aus dem Tierreich, die Elefantenfriedhöfe sind vielleicht die Bekanntesten. Mir scheint hier ein Bewusstsein, das anderer gedenkt, präsent zu sein.

Denken wurzelt in Erfahrung, Sprache, Einsicht. Oftmals ist es eine Erfahrung von Welt, die jenseits der Empirie liegt. Hier liegt die wahre Kreativität eines jeden. Denken ist auch immer ein wenig ein Akt der Schöpfung.

 

 

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