Das Reale

Gestern habe ich während einer Paneldiskussion auf der India Art Fair jemanden Platon zitieren hören. Sie sagte, Platon sagte, Kunst sei die Reflexion der Reflexion des Realen. Ob das in dieser Verkürzung so stimmt, sei mal dahingestellt. Es ist ein interessanter Gedanke.

Was ist das Reale, was eine Reflexion, was Kunst? Für Platon gibt es ja die Welt der Ideen, die Welt der Schatten, die der Unwissende in der Höhle als wahr wahrnimmt, und den Philosophen, der ihn da herausführen möchte. Platon war kein großer Freund der Kunst, was soll man auch mit einem gemalten Apfel machen, wenn man den realen Apfel ja essen kann? Und kommt das gemalte Abbild wirklich der reinen Idee in irgendeiner Weise nahe? Kunst scheint uns zum Nachdenken zu bringen, aber das führt uns nicht zwangsläufig der Wahrheit näher. Kunst entspringt und lädt ein zu einer Art des Denkens, das nicht rational ist. Ein Denken, das sich auf die Sinne fokussiert, oder die Intuition, auf die Vision, oder eine Reflexion, ein Denken, das etwas schöner hervorbringen will. Diese Art des Denkens, die Ästhetik, die Theorie der Wahrnehmung, nimmt etwas für wahr an, das dem eigenen Denken entspringt.

Es dieses eigene Denken, das zwar angeregt ist durch die Wahrnehmung der Schattenwelt, aber doch weitestgehend von ihr abstrahiert, d. h. sich von ihr loslöst, um etwas Eigenes zu entwickeln. Das, was dann entwickelt wird, das Kunstwerk, wird Realität, ist aber nicht real. Das Reale, und ich denke mal, dass das eingangs zitierte Zitat auf Lacan anspielt, ist doppelt reflektiert. Diese zwei Spiegel, die zu einem visuellen Feedbackloop führen, erzeugen einen Raum der Illusion, der zu einem Experimentiertraum wird. Das Reale bleibt der Kunst ebenso unzugänglich, wie dem reinen Denken.

Was möchte uns das sagen? Diese erneute Variation des Problems der Repräsentation. Ich denke, dass das Problem von Subjekt und Objekt, Bewusstsein und Materie, hier implizit enthalten ist. Zwar sind die Probleme bei Platon ‚idealistisch‘, d. h. sie beziehen sich auf die Welt der Ideen, also eine Welt, die weder Subjekt noch Objekt ist, die weder Geist noch Materie ist. Doch die Art und Weise, wie unser Denken Schwierigkeiten hat, die Welt zu verstehen, ohne die eigentliche Realität wahrnehmen zu können, verweist darauf, dass das Problem des Dualismus der Ausgangspunkt der philosophischen Reflexion ist. Das Ziel des Denkens, d. h, die Erkenntnis des Realen, der Welt der Ideen, bleibt Utopie.

Und genau dies kehren die Upanischaden um. Die wenigen Hauptupanischaden, die ich nun im Detail studiert habe, gehen immer vom Realen aus, Brahman, der Erzeuger des Universums, und die Wahrheit an sich ist Ausgangspunkt. Nur durch seine Entfaltung im Prozess der Realität erfährt sich Existenz. Das, was wir wahrnehmen, denken, erschaffen ist Ausdruck des absoluten Seins. Kernpunkt der Philosophie der Upanischaden ist die Erkenntnis, dass das Selbst (Atman) das gleiche ist wie Brahman (Kosmos). Wenn sich also das Reale in der Reflexion reflektiert, so mag das Kunst sein. So herum macht das Sinn, und nur so.

Wieso fängt die westliche Philosophie so oft mit dem kleinen gemeinsamen Nenner an zu denken, einer Axiomatik, einer Ontologie, die durch Okheims Messer getrimmt wurde. Es ist der Gedanke der Aufklärung, der das Prinzip der rationalen Reduktion auf die Spitze getrieben hat. Sie ist zum Paradigma des wissenschaftlichen Fortschritts mutiert. Und seit Jahrhunderten, wenn nicht seit Jahrtausenden stößt dieses kleine rationale Denken an seine Grenzen. Es ist sich dabei sehr wohl bewusst, dass es einen Körper hat, und Bewusstsein, und ein Selbst oder eine Seele, doch tut es immer so, als ob das nicht relevant sei, da es ja nicht vollständig in der Rationalität aufgeht. Und so galt es eine Revolution als die Phänomenologie das Bewusstsein erst nahm und Merlon-Ponty den Körper, als die Postmoderne Ästhetik die Sinne rehabilitiert, und der Existenzialismus unser Scheitern zelebriert.

Kunst ist nicht die Reflexion der Reflexion des Realen, sondern das Reale reflektiert sich in der Reflexion und so entsteht Kunst. Und so sogar eine Transhumane, denn die Natur ist Kunst, und der Kosmos, die Sterne und die Seelen. Alles wird zur Kunst, wenn es sich in der Reflexion reflektiert. Wenn Brahman durch Atman die Welt erfährt und die Götter tanzen und singen, dann werden all die phänomenalen Qualitäten, die der westliche Geist so dreist leugnet, von einem Götterchor orchestriert. Unser Empfinden ist real, unser Bewusstsein ist real, die Welt ist real, Kunst ist real. Das Reale ist real.

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