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Diagramme – philosophisch

Ich näher mich ganz langsam Sanskrit. Donnerstags hält Nishtha ein Seminar zu den Rigveda. Das gemeinsame Rezitieren in Sanskrit, die detaillierte Analyse der Übersetzung, die philologisches Überlegungen Nishthas sowie die Ausführungen zur Psychologie der Götter eröffnen einen Zugang zu diesen ‚heiligen‘ Texten.

Ich erinnere mich an mein Lateinstudium, die indogermanischen Wurzeln, die Klänge, die in den Ragas widerhallen, die Phonetik als Existenzbekundung, die Sprache als Klang und Vibration, die Kommunikation als Rhythmus. Der Atem des Lebens, Yoga, Vitalität, das Denken in Ebenen von Bewegung und die Transzendenz dieser Ebene zum Selbst (Atman) gehalten im Selbst (Brahmen). All dies wird durch mein Studium der Upanishad beflügelt. So sehr, dass ich gestern wieder Gilles Deleuze aus dem Regal geholt habe. In seinem Buch „What is Philosophy“ heißt das zweite Kapitel ‚Plane of Immanence‘, es ist dieses ‚Plane of Immanence‘, das mir philosophisch die Brücke zur Indien geschlagen hat, rein intuitiv, denn verstanden habe ich das nicht. Ich habe jahrelang darüber gesprochen, weil ich es verstehen wollte. Ich wusste, dass ich es nicht verstand, nun sehe ich warum.

Sprache

Ich habe nie wirklich über Begriffe (concepts) nachgedacht. Das klingt merkwürdig, denn ich habe Sprache analysiert (Frege, Saussure, Dedrrida, etc), ich habe mich mit dem Gehalt von Sprache beschäftigt (Husserl, H.N. Castaneda, Quine, Goodmann etc.), ich habe die Ästhetik von Zeichen analysiert (Pierce, Danto, Welsh, Bense, etc.). Sprache ist in meiner Lesart immer Teil von Bewusstsein, nur als bewusstes Sprechen, Lesen, Hören, macht Sprache ‚Sinn‘. Letztlich geht es also um Bewusstseinstheorien. Kurz, ich habe über die Funktion von Sprache, ihre Referenz, die Kommunikationsfähigkeit, ihre gesellschaftlichen, politischen, soziologischen Implikationen nachgedacht, ohne wirklich ober das Wesen von Begriffen nachzudenken. Was meine ich damit?

Sprache ist idealtypisch in grammatisch ‚korrekten‘ Sätzen strukturiert. Diese Sätze haben eine Struktur (in der einfachsten Form Subjekt – Prädikat – Objekt). Ihnen korrespondiert ein Sinn, das ist der Gehalt des Satzes, den wir versuchen, zu kommunizieren, oder von dem wir denken, dass wir ihn verstehen. Die dominierende ‚westliche‘ sprach-analytische Philosophie beschäftigt sich nun vornehmlich mit der Frage, welche Sätze wahr und welche falsch sind. Dazu muss natürlich zuerst bestimmt werden, unter welchen Umständen Sätze allgemein wahr oder falsch sein können. Es geht also um die Frage, wie die Beziehung von Sätzen zu der Welt ist und wie die Beziehung von Sätzen zu ihrem Sinn ist, und wie ist die Beziehung von Sinn und Welt ist. Das ist keine leichte Aufgabe und um da nicht den Faden zu verlieren, richtet sich die Philosophie an der Logik aus. In der Propädeutik liegt dann die gemeinsame Wurzel von Logik und Sprache. Auf diesem Fundament können dann alle anderen Wissenschaften auf ihren Gültigkeitsanspruch überprüft werden.

Was ist daran falsch?

Diagramme und Begriff (concepts) in der Lehre

Ich habe in der Zeit, als ich in den USA gelehrt habe, viel über Diagramme nachgedacht, und sie in meinen Seminaren eingesetzt. Ich war ihnen gegenüber während meines Studiums skeptisch. Mir schienen es faul zu sein, eine mangelnde Begriffsschärfe durch Diagramme auszudrücken. Diagramm – so dachte ich – werden immer dann gezeigt, wenn etwas Kompliziertes nicht klar ausgedrückt werden kann. Ich war so geschult worden, dass diese begriffliche Klarheit als Fernziel erreichbar sei – ein Kerngedanke der Aufklärung. Der Begriff ‚Begriff‚ wird dabei sehr technisch gedacht. (Siehe Frege Funktion und Begriff von 1891). Für Frege sind Begriffe wahrheitsfähige Prädikate) oder so ähnlich… da gibt es unsägliche Grabenkämpfe.

Deleuze sagt dagegen sehr klar, dass Begriffe (concepts) nicht eindeutig sind, dass sie sich überlagern und alles andere als klare Abgrenzungen haben. Sie existieren auf einer bzw. vielen verschiedenen Ebenen (planes):

„Philosophical concept are fragmentary wholes that are not aligned with one another so that they fit tgether, because their edges do not match up. (…) They resonate nonethelss, and the philosophy that creates them always introduces a powerful Whole that, while remaing open, is not fragmented: an unlimited One-All, an ‚Omnitudo‘ that includes all the concepts on one and the same plane.“ (p.35)

„Concepts are like multiple waves, raising and falling, but the plane of immanence is the single wave that rolls them up and unrols them“ (p.36)

„Concepts are the archipelago or skeletal frame, a spinal column rather than a skull, wheras the plane is the breath that suffuses the seperate parts.“ (p.36)

Jeder große Philosoph, jede Epoche hat ihre eigene Ebene (plane). Es gibt viele Ebenen (planes). Die Renaissance ist anders als die Romantik, Kant anders als Nietzsche. Es wäre absurd zu denken, dass die gleichen Begriffe in anderen Kontexten das Gleiche meinen. Deleuze geht es in seinem späten Werk um die verschiedenen Ebenen (planes). Die 1000 Plateaus waren dafür vielleicht der Experimentierkasten.

Ebenen (planes)

Was ist eine Ebene und was ein Begriff? Ich denke, dass hier der Kern von Deleuze Denken liegt. Begriffe sind für ihn agil, Ebenen sind die ‚Dimensionen‘, in denen sie agieren. Die Ebene (plane) der Immanenz ist absolut. Das Denken bei Deleuze ist lebendig, es ändert sich, nicht nur für ihn, sondern an sich. Film ist Denken – auch eine Ebene (plane) auf Celluloid. Wie entsteht ein Begriff, wie werden Verbindungen zwischen Begriffen geschaffen, wie konstituieren Gedanken eine Sicht von Welt.

Für mich ist Deleuze ein Philosoph der Immanenz. Wie bilden sich aus geologischen Schichtungen (strata) Lebensräume (territory)? Wie definiert ein Lebewesen seinen Lebensraum und wie, wann, warum verlässt es diesen und wie transformiert es sich dann? Was wird (Becoming) es? Kann es wieder zurückkommen (territorialization and de-territorialization)? Wie findet darin Kommunikation statt (Rhythmus), wie werden Milieus gebildet?

Mein Ver-dacht?

Mein Verdacht ist, dass Deleuze Denken gar nicht so weit entfernt ist von den Vedischen Gedankenwelten. Das Projekt ist spannend. Die Vedischen Schriften wurden über Jahrhunderte nur mündlich überliefert, bevor sie verschriftlicht wurden und sie sind bis heute wenig verstanden. Mir ist die Lesart von Sri Aurobindo sympathisch, der der westlichen Lesarten seelenloser Gelehrten die Urkraft des spirituellen Denkens in Indien entgegensetzt. Ob das philologisch immer korrekt ist, kann ich nicht beurteilen.

Aurobindo aktiviert die Vedischen Schriften jedenfalls. Er arbeitet ihre philosophische Strenge heraus, bettet sie in ein in die menschliche Erfahrung und spirituelles Denken und zeigt, dass hier der Anfang der Philosophie liegt. Dieser Anfang erscheint nicht in Form eines zarten Hervorkommens, sondern kraftvoll als eine Wesensschau, als ein erleuchtetes Sehen einer spirituellen Wahrheit, die die zentralen Fragen unsere Existenz versucht zu beantworten. In diesem Sinne sind die Vedischen Schriften für Aurobindo mehr als Philosophie, sie beinhalten Philosophie, gehen aber darüber hinaus, nicht irrational, mythisch, ritualistisch und barbarisch, sondern klar in ihrer Ansprache an unsere Existenz. Wo kommen wir her und was ist unsere Aufgabe? Dies wahrhaftig zu beantworten ist der Versuch der Vedischen Schriften.

Ich sehe Resonanzen in den Ebenen (planes) der Vedisches Schriften und Deleuze Ebenen (planes). Die Götter der Veden und die entfesselten Begriffe bei Deleuze sind sich gar nicht so unähnlich. Die Philosophie der Immanenz speist beide. Alles ist eins. Es geht darum, das Leben zu verstehen.

OM TARE TUTTARE

Gilles Deleuze, Felix Guattari. What Is Philosophy? Columbia University Press, 1996.

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