Ein neues Weltbild erarbeiten

Ich habe vielleicht 4 oder 5 mal in meinem Leben mein Weltbild geändert. Das ist ein aufregender, spannender und extrem anstrengender Prozess. Ich finde das sehr viel, manche haben vielleicht das Weltbild, in das sie hineingeboren wurden, nie verlassen. Ein Philosophiestudium verlangt das eigentlich. Man sollte das nicht zu oft machen, und idealerweise wächst man bei jedem neuen Wechsel.

Um sich von einem Weltbild zu verabschieden, um sich auf ein Neues einzulassen, muss man viele Ideen hinter sich lassen. Es ist nicht leicht, sich von Ideen zu verabschieden, die einen jahrelang geleitet haben. Es ist auch nicht so, dass man eines Tages aufwacht und denkt alles ist falsch, von dem man jahrelang überzeugt war. Vielmehr schleicht sich ein Gefühl ein, dass etwas nicht stimmt, dass bestimmte Fragen immer noch nicht beantwortet sind, dass Dinge, die man interessant fand, plötzlich langweilig werden. Bei mir sind das Mantra ähnlich Zustände. Die letzten Jahre z. B. habe ich fast täglich einen Gedanken gehabt: ‚I am done with capitalism‘ Diesen Satz habe ich immer wieder im Kopf gehabt. Doch was folgt daraus?

Der Übergang

Für mich bedeutete das, dass ich bestimmte Dinge nicht mehr mittragen konnte. Ganz praktisch fühlte ich mich nicht mehr wohl für eine teure Privatuniversität zu arbeiten. Ich hatte auch kein Interesse mehr an Dingen, die rein der Logik des Kapitals folgten, das bedeutet auch, dass ich an bestimmten Themen das Interesse verlor. Ich schaute in die vielen Regale mit meine Büchern und fand nur noch sehr wenige interessant … Gleichzeitig fühlte ich mich angezogen von neuen Ideen. Ganz konkret die Bücher von Sri Aurobindo. Ich lese ihn langsam, aber dafür eigentlich nur noch ihn, seit Jahren … Seine Ideen führen in eine ganz andere Gedanken- und Erfahrungswelt. Ich bin dann sehr vorsichtig. Manche Autoren sind Verführer, haben schnelle Antworten und versuchen ein wenig missionarisch eine Gedankenwelt aufzuzwingen. Das finde ich gefährlich. Da muss man aufpassen.

Wie kann man neue Überzeugungen aufbauen, die alten Überzeugungen widersprechen? Um alte Überzeugungen loslassen zu können, simplifiziere ich sie. Ich frage mich, was ist der Kern und warum haben sie für mich an Attraktivität verloren? Ich reduziere Komplexität, vereinfache, um Klarheit zu gewinnen. Das ist die Schönheit von Simplizität. Da meine Weltbilder immer aus soliden philosophischen Systemen bestanden, konnte ich nicht einfach Flüchtigkeitsfehler im Denken finden. Vielmehr geht es mir darum, die Implikationen abzuwägen. Was bedeutet ein Weltbild für den Planeten? Oder welche Fragen kommen innerhalb eines Weltbildes zu kurz, oder werden nur ausweichend behandelt? Meine kleine Kategorie von Kiss goodbye Einträgen hier ist eine kleine Anekdotensammlung.

Heute wurde mir also etwas klar. Wie gesagt, es geht hier um radikale Vereinfachungen. Beim Lesen von Aurobindo’s Kommentaren zu der Isha Upanischade habe ich das Gefühl, dass das alles klar ist, dass hier etwas ausgedrückt wird, das eine höhere Wahrheit beinhaltet. Ich finde das fast schon unheimlich, denn die Gedankenwelt ist komplex, entspringt einem anderen Kulturkreis, setz unglaublich viel voraus, und eigentlich kann man das gar nicht richtig verstehen, wenn man kein Sanskrit kann. Ich bin daher unendlich dankbar, dass ich diese Texte hier mit einem Freund lesen darf, der nicht nur ein echter Sanskritexperte ist, sondern für mich eine Art Guru ist, der mir Orientierung gibt, in meinem Versuch mich in Aurobindos Gedankenwelt zurechtzufinden. Heute wurde mir also etwas klar. In den großen Denktraditionen des Westens gibt es verschiedene Grundeinstellungen. Eine Art Axiomatik, also grundlegende Annahmen, auf denen alles aufbaut. Mir vertraut sind z. B. folgende Denktraditionen:

  • Ein Weltbild, das auf Empirie beruht, also auf Dingen, die mir durch Erfahrung gegeben sind. Diese Erfahrungen sind Ausgangspunkt, die Welt zu verstehen. Alles, was in meiner Erfahrung gegeben ist, muss rational erklärbar sein. ‚Traue nur deinen Sinnen‘, ist das kurzsichtige Mantra. Dieses Weltbild ist dominierend, da es besonders außerhalb der Philosophie die treibende Kraft geworden ist. Politik, Wirtschaft, Naturwissenschaften werden durch sie angetrieben.
  • Ein anderes Weltbild beruht auf der Rationalität. Nur das, was rational erklärt werden kann, hat Gültigkeit. Das klingt erstmal fast identisch wie das Erste, hat aber radikal andere Implikationen. Hier geht es um die Strukturen unseres Denkens, um die transzendentalen Strukturen: Logik, Epistemologie, Ethik, Ästhetik, Annahmen a priori etc…. Aus dieser Art von rationalem Denken lassen sich unterschiedlichste Ideologien ableiten. Ändert man die Voraussetzungen, indem man sich eine andere Datenlage anschaut, aber zugleich die Argumentationswege im Wesentlichen unverändert lässt, so ergeben sich radikal unterschiedliche Weltbilder – Kommunismus, Kapitalismus, Fanatismus, Faschismus. Sie alle haben eine eigene Rationalität, die umgangssprachlich gar nicht rational ist. Ich denke, der Zweite Weltkrieg veranschaulicht, wo das hinführen kann.
  • Ein drittes Cluster von Weltbildern folgt der Grundannahme, dass es lokale Wissenssysteme gibt. Ein postmodernes Weltbild, das Widersprüche aushält und Veränderungen wertschätzt. Für mich ist das prozessuales Denken. Es verändert sich ständig, weil die Welt sich auch ständig ändert.

Das ist sicherlich nur eine kleine Auswahl von Möglichkeiten. Ich denke aber, dass diese drei Paradigmen hinreichend trennscharf sind, da es dazu auch viele Streitereien in der Fachliteratur gibt.

Mir scheint nun, dass in Aurobindo’s Denken alle diese Denkweisen zusammenlaufen, wenn auch unter anderen Vorzeichen: Die Empirie ist gegeben durch eine tiefgreifende Analyse der Sinne, die phänomenologisch präzise ist in dem Sinne, dass sie die Konstitution unterschiedlicher Bewusstseinszustände und Ebenen abdeckt (Kena Upanischade). Es ist rational in dem Sinne, dass Aurobindo das Geheimnis der vedischen Schriften erschließt und zeigt, dass die spirituelle Erkenntnis der Rishis rational ist, aber auch über die Rationalität hinausgeht, ohne irrational zu werden (Isha Upanischade). Es schießt eben nur andere Erkenntnisformen und Bewusstseinszustände mit ein. Und sein Denken ist dem prozessualen Denken verbunden, da es die Evolution des Geistes beschreibt (The Life Divine). In Aurobindo’s Analysen kommen immer alle drei Formen des Denkens gemeinsam. Sein ‚System‘ ist verschränkt. Alles aufeinander bezogen, und das muss auch so sein, die Welt, das Bewusstsein, vollen Bewusstsein, die Natur, die Götter, das Selbst – Maya, Puruscha, Satcitananda, Prakriti, Brahman, Atman…

Mir scheint, so in etwa kann sich ein Weltbild verschieben bzw. durch ein anderes ersetzt werden. Das heißt, dass das vorherige Weltbilder im persönlichen Denken transformiert wird.

 

Dabei hilft: Meditation, Leben in einem anderen Land in einer anderen Gesellschaft, spirituelles Wachstum und Mut zur Lücke für den Moment.

p.s.: Statt einer reduktionistischen Sichtweise auf das Bewusstsein, und statt einer Ausrichtung von Sinnhaftigkeit entlang von Akkumulationsbewgungen des Kapitals, findet sich in den Vedischen Schrift das Grundprinzip der Vibration. Es ist das energetische Prinzip des Universums, es ist das Grundprinzip der Sinneswahrnehmung, die Synchronizität von Vibrationen in der Wahrnehmung erlaubt eine bewusste Wahrnehmung und eine Übersetzung in Laute und Sprache. Das, was unsere Existenz als Menschen maßgeblich prägt, ist unser Bewusstsein, es ist auf wenigstens 7 Ebenen differenziert, und der Versuch es auf Informationsverarbeitung zu reduzieren, erscheint mir masochistisch, selbstverleugnerisch, fremdbestimmt und fehlgeleitet.

 

Verwandte Beiträge

Beginnen sie damit, ihren Suchbegriff oben einzugeben und drücken sie Enter für die Suche. Drücken sie ESC, um abzubrechen.

Zurück nach oben