Tempel

Image of thought

Es gab mal eine Zeit, in der ein Studium Generale Teil der akademischen Welt war. Ich habe das einige Semester getan. Mir schien die Vorstellung einer systematischen Wissenschaft immer etwas widersinnig. 

In meinem Philosophiestudium nach der Zwischenprüfung in Heidelberg wurde ich dann systematischer, jedoch war ich trotzdem noch ein ‚bunter Hund‘ im Seminar. Ich fand immer Gegenbeispiele oder merkwürdige Beobachtungen, die den Theorien widersprachen. Für die Diskussionen in den Seminaren war das belebend. Ich war streitlustig, gab nicht schnell auf. Der Kraft des systematischen Denkens in der Tradition des Deutschen Idealismus hatte ich aber auf Dauer nicht viel entgegenzusetzen und so flüchtete ich in die ästhetische Theorie. 

Ästhetische Theorie

Alles, was wahrnehmbar ist, ist potenziell Gegenstand ästhetischer Theorie. Je bunter, desto besser. Jedoch wurde ich auch hier eingeholt von der systematischen und analytischen Denkweise. Wir lasen moderne Denker, keine Postmodernen. Die Kunstgeschichte hatte bemerkenswert wenig zu den Diskussionen beizutragen. Und so gab ich mich dem Gedanken der Avantgarde hin. Ein neuer Gedanke wurde schnell zum alten und durch einen noch radikaleren ersetzt.

Das Tragische an dieser Bewegung, die oft als Fortschritt (mis)verstanden wird, ist die analytische Reduktion. Das mystische Denken wird zum mythischen, dann zum aufgeklärten und schließlich zum kritischen Denken.  Der Gegenstand der Kunst reduziert sich vom Kosmos, zum religiös/ideologischen, dann zum wissenschaftlichen und schließlich zum kritischen, zuweilen zynischen. Der semiotischen Reduktion folgte eine kompositorischen Reduktion, dann eine Reduktion auf den Wahrnehmungsakt, eine weitere Reduktion auf die Idee (Concept). Dieser Prozess der Analyse, Zerteilung und Resynthetisierung wurde beschleunigt durch die Medientheorie. Ihm lief parallel die Entwicklung der Drucktechnik, der Fotografie, des Films, Video, Computer, KI…

Die trennende Kraft der Wissenschaft (Scienzia) reduziert den Akt der Kreativität auf das Finden neuer Elemente. Die ‚ism‘ der Kunstgeschichte: Impressionismus, Futurismus, Kubismus, Symbolismus, Dadaismus etc… isolieren Kräfte des Schöpferischen und radikalisieren sie, bis sie einen Ausdruck gefunden haben.

Dieser kurze Abriss ist natürlich eine trivialisierende, radikale Verkürzung. Kunst wurde auch reicher durch die Aufnahme von Phänomenen aus den Sozialwissenschaften, der Psychologie und Naturwissenschaft. Die inter- und transdisziplinären Ansätze führten Künstler:innen in Labore, Politik, auf die Straße, in den Aktivismus. Einzelne Kräfte wie z.B. ‚das Geistige in der Kunst‘, die Kinetik, die Synästhesie, die Geometrie, die Emotion, der Kitsch, all dies und vieles mehr wurde konzentriert, destilliert, vermischt. 

Gedankenbilder

Mir schienen die verschiedenen Kunstströmungen immer verschiedene Weisen des Denkens zu repräsentieren. Das dachte ich wirklich! Ich dachte, dass der Urgrund im Denken liegt, ich teilte zwar die Ahnung der großen westlichen Philosophen, dass die philosophischen Systeme eben genau das sind: Systeme, die unterschiedliche Interpretation einer Realität liefern, die selbst nicht erklärt werden kann. D. h. die Vorstellung, dass innerhalb des Denkens nur eine Repräsentation von Welt geschaffen werden kann, die Welt selbst aber nicht zugänglich ist.

Mir war daher die Annahme, dass Kunst ein Akt der Schöpfung sei, d.h. kreativ ist immer suspekt. Wie konnte ein Subjekt Schöpfer sein, wenn es rational verstanden wurde. Das klingt naiv, ist aber eigentlich nur ehrlich. Der Westen redet von den ‚kreativen‘ Künstlern in einer materialistisch und kapitalistische orientierten Weltvorstellung, in der das Heilige, das Sakrale, das Göttliche keinen nennenswerten Stellenwert hat. Das Subjekt wird so zum Schöpfer stilisiert, dem eine Kreation zugestanden wird, die dem Göttlichen abgesprochen wird. Dieser Widerspruch schien für mich nur einseitig auflösbar zu sein. Ich entschied mich für das Rationale, das schien mir innerhalb der westlichen Kultur schlüssiger. 

Der Kunst kommt dann innerhalb dieses Denkens die Rolle einer Darstellung zu oder vielleicht sogar die eines Laboratoriums, wo neue Erfahrungen gemacht werden können. In den postmodernen Diskursen wird die Kraft der Kunst  – durch das Sublime die Welt jenseits des Denkens erreichen zu können – radikal erweitert. In der Dekonstruktion, dem Poststrukturalismus, dem Rhizom eröffnet sich die Welt jenseits systematischer Denkmuster. Die Systeme werden quasi transzendiert (auch wenn die Hauptvertreter hier wahrscheinlich großen Einspruch einlegen würden). In den brutalen Verzerrungen, der Suche jenseits der Zeichen, in der freien Verknüpfung des Unvereinbaren tritt Neues hervor. Hier fühlte ich mich zum ersten Mal zu Hause. Bis heute finde ich in den Schriften von Deleuze Trost und Inspiration.

Ich beginne aber erst jetzt wirklich zu sehen. Denn diese gesamte Bewegung des Denkens innerhalb des Rationalen führt ja nicht weit. Die Grenzen des Rationalen sind schnell erreicht. Danach kommen die Warnschilder: Vorsicht, das ist nicht wissenschaftlich, oder nicht begründbar. 

Wie lässt sich das Denken und die Welt in Deckung bringen? Diese Frage zeigt die Arroganz dieser Denktradition. Der Welt steht ein kleiner denkender Geist gegenüber, der den gesamten Kosmos mit all seinen Faszinationen fassen will. Und das Ganze auch noch nur aus sich selbst heraus. Eigentlich ist das so dumm, dass ich mich frage, warum ich das nicht viel früher gesehen habe. Und warum haben die sogenannten ‚großen Denker‘, die das wussten, das nicht prominenter gesagt, sondern in kleinen posthumem Zetteln versteckt (siehe Kant und Hume z.B.)?

Der Weg raus aus diesem Dilemma besteht darin, unser Sein breiter zu fassen, als bloß auf das rationale Denken zu reduzieren. Wir müssen uns erlauben, uns als Materie und Leben, als Bewusstsein und rationalen Geist, als intuitiv und spirituell zu verstehen. Nur wenn wir die komplexen inneren Bilder, die diese und weitere Ebenen verschränken, zulassen, können wir uns als Teil einer Realität verstehen, die uns einschließt.Die Bilder, die dort dann entstehen, sind substanziell andere. Sie verlangen nach eine gänzlich anderen Sprache.

Bei Aurobindo habe ich heute folgenden Zitat gefunden

„A certain difficulty arises for our mind in reconciling these different faces or fronts of the One Self and Spirit, because we are obliged to use abstract conceptions and defining words and ideas for something that is not abstract, something that is spiritually living and intensely real. Our abstractions get fixed into differentiating concepts with sharp lines between them: but the Reality is not of that nature; its aspects are many but shade off into each other. Its truth could only be rendered by ideas and images metaphysical and yet living and concrete, — images which might be taken by the pure Reason as figures and symbols but are more than that and mean more to the intuitive vision and feeling, for they are realities of a dynamic spiritual experience.“ (The Life Devine p.372)

Mir scheint hier ein Hinweis auf ein anderes Kunstverständnis zu liegen. Ich werde dem nachgehen.

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