Auf einem Boulevard in Paris, Café und schlechte Musik, Sonne und viele Menschen. So viele Menschen möchten gesehen werden. Sie zeigen sich geschäftig, sexy, cool, wissend, abenteuerlustig, sportlich, gebildet, kultiviert oder gleichgültig. Viele möchten, dass die anderen aufmerken, sie sehen als das, was sie sein wollen. Vielleicht leben sie ihr Leben auf eine bestimmte Art, glücklich und zufrieden, oder fremdbestimmt und gelangweilt, ausgestoßen oder privilegiert. Das ist das Schöne an Paris und anderen großen Städten, dass sich die Menschen zeigen, wie sei sein wollen, wie sie gesehen werden wollen.
Freiräume
Hier zeigt sich natürlich auch irgendwie eine Entfremdung, eine Dissonanz. Die Freiräume, die wir uns nehmen, kontrastieren die – meist größeren Räume – wo wir nicht sind wie wir sein wollen. Hieraus entsteht eine ganze Industrie. Du möchtest anderes sein? Probiere dies, für einen Preis. Drücke deine Individualität aus, indem du etwas ganz Besonderes kaufst, das andere nicht gekauft haben. Das ist Kapitalismus und Konsumkritik. Das ist bekannt, und wir denken alle, dass wir darüber stehen und tun es natürlich nicht.
Ich finde den Drang sich zeigen zu wollen, wahrgenommen werden zu wollen, Aufmerksam zu bekommen viel spannender. Warum tun wir das? Wir suchen wahrscheinlich Begegnungen, wollen den anderen grüßen – Namaste. Wahrscheinlich wollen wir eine Einsamkeit überwinden, oder sie zu mindesten unterbrechen. Eigentlich wollen wir doch gar nicht am Kapitalismus teilnehmen, wir wollen an dem Abenteuer Bewusstsein teilhaben, es mit anderen feiern, teilen. Und wir wollen uns darin auflösen – im Rausch und in der Ekstase, dionysisch. Wir wollen die Logik des Systems, das Funktionieren, die Effizienz zur Diskussion stellen. Nietzsche lässt grüßen, aber auch Bataille.
Ich sitze also in einem Café in Paris, den Rucksack gepackt, heute Abend fliege ich nach Auroville. Und natürlich frage ich mich, warum ich das jetzt in einen Blog schreiben muss. Und warum ich auf die andere Seite der fliegen muss. Check your privelege. Und warum schreibe ich so viel in der ersten Person?
Goodbye
Ich meine das anscheinend ernst. Vor vielen Jahren sagte ich allen, die es hören wollten, ich sei mit dem Kapitalismus fertig. Genauso wie ich seit noch längerer Zeit mich aus dem Gedankenkreis des Christentums verabschiedet habe. Doch das bedeutete für mich ein Leben im Falschen, denn mir gelang es nicht eine echte Alternative für mich zu entwickeln. Es gibt auch nicht viele Orte auf unserem Planeten, wo dies versucht wird. Mir genügt es nicht (mehr), eine kritische Haltung zu haben, und ich finde es für mich auch nicht akzeptable innerhalb des Systems Ressourcen zu sammeln um sie individuell umzuverteilen. Auch Trost zu spenden ist nicht meine Art.
Wir müssen doch handeln, so kann das nicht weitergehen. Es ist schlecht für die Umwelt, aber auch schlecht für uns. Das wird in der heutigen Debatte so oft verschwiegen. Es geht nicht nur darum, den Planeten zu retten, sondern uns selbst. Wir brauchen nicht nur neue Ideen von Ingenieuren, sondern auch von Philosophen und spirituellen Denkern und Sehern. Vielleicht brauchen wir auch gar keine neuen Ideen, sondern könnten uns an alte Ideen erinnern und darüber nachdenken, wie wir sie adaptieren können in einer zunehmen komplexen Zivilisation. Wie sähe eine Welt aus, ohne Kapitalismus und ohne Kolonialismus und Kreuzzüge? Wieso denken so wenig Menschen ernsthaft darüber nach?
Ich habe keine Ahnung, was mich auf der nächsten Etappe erwartet. On verra, we will see. Aurobindo besang das Feuer, es ist wesentlich für das Sehen. Ich hoffe das ich nicht als Phönix aus der Asche wieder entstehen, als das gleiche wie zuvor. Das wäre wirklich eine Tragödie. Vielmehr möchte ich selbst Feuer werden, mich daran erinnern, dass wir aus geschmolzenen Sternen gemacht sind.