Erleuchtung

Aufklärung – Erleuchtung: das Paradox des Enlightenment

Mit dem Enlightenment ist das so eine Sache. Neulich fragte mich jemand, ob ich Enlightenment suche. Ich kam etwas ins Stutzen. Weil ich diesen Menschen aber ganz besonders schätzte, versuchte ich ehrlich zu sein – ja, nein, ähm, ich weiß nicht so genau, eigentlich schon, wenn ich ganz ehrlich bin… Wieso dieses Rumeiern? Wieso nicht einfach direkt sagen, ja, das tue ich, so wie sie, als sie antwortete, sie denke, die meisten suchen danach. Ich bin mir da nicht so sicher.

Jedenfalls löste die Frage ein Unbehagen in mir aus. Soll ich eingestehen, dass ich Erleuchtung suche, vielleicht sogar ein Stück gefunden habe? Geht das, ein Stück Erleuchtung zu finden, oder ist das nicht eine ganz oder gar nicht Sache? Welche Abschattungen gibt es, welche Pfade, welche Irrwege, 1000? Abends sprach ich mit einem Freund: Wie viele Menschen kennst du, die von sich behaupten, sie seien erleuchtet? Er lachte. „Keinen – zum Glück“, sagte er. Und so sprachen wir kurz darüber, was die Frage eigentlich soll. Im Gespräch vermischte ich Aufklärung und Erleuchtung. Aha! Hier ist des Pudels Kern.

Als ich meiner Freundin antwortete, benutzte ich das Bild eines Lichtes, das ich irgendwo vor vielen Jahren mal gefunden habe als ich über den Kosmos nachdachte, und dass ich dieses Licht nun mit mir trage und hier und da versuche, etwas zu erhellen. In seiner Essenz war diese Erfahrung die Einsicht, dass die Welt, wie sie sich mir durch meine Sinneswahrnehmung und die daraus abgeleiteten mentalen Repräsentationen einer Außenwelt darstellt, so nicht sein kann, dass vielmehr die Grundannahmen von Raum, Zeit, Materie und Bewusstsein radikal anders sind. Die Erfahrung dieser radikalen Andersheit motivierte mich zum Philosophiestudium.

Ich lernte also etwas über die Aufklärung und den deutschen Idealismus. Ich lernte den Verstand zu nutzen, und die Vernunft, und die Ästhetik. Mal ist das, was sich da dann erhellt, gut und schön und spannend, mal abschreckend, falsch und verlogen. Dies, so denke ich, beschreibt den Prozess der Aufklärung. Das Licht der Rationalität lässt alles in ihrem Glanz erstrahlen und entlarvt es als das, was es in Wahrheit ist. Sich seines eigenen Verstandes zu bedienen um aus der eigenen Unmündigkeit herauszukommen, dies war Kants Vorstellung von Aufklärung. Sich seines eigenen Verstandes klar zu werden, ist ein Akt transzendentaler Reflexion, reines Denken, in Kategorien und auf Grundlage von a priori gegebener Raum und Zeit. Und mein Unbehagen kam daher, dass ich das eigentlich gar nicht meinte. Jahrelang habe ich darüber nachgedacht, Jahrzehnte mit meinen Studenten diskutiert. Immer mit dem Gefühl, dass das im Kern nicht ganz falsch ist, in der Sache aber am Thema vorbeigeht.

Denn was Enlightenment auch bedeutet, ist Erleuchtung. Und das ist geradezu das Gegenteil. Es ist jener Erfahrung, die mich zu meinem Philosophiestudium zuerst bewegte, viel ähnlicher. In der östlichen Philosophie und Spiritualität ist es die zentrale Erfahrung. Es gibt natürlich unzählige Pfade.

Hier möchte ich kurz auf die Advaita-Philosophie eingehen. Eine Philosophie der Immanenz, so möchte ich sie jedenfalls verstehen. Ganz wesentlich ist hierbei, dass es eine Erfahrung und keine Erkenntnis ist, oder wenn eine Erkenntnis, dann im Sinne einer Erfahrung. Es geht um das Erfahren der Einheit, dass es keinen Unterschied gibt zwischen mir und dem Schöpfer, zwischen Atman und Brahman. Dies ist eine Erfahrung, die sich nicht argumentativ erschließt, sie ist nicht deduzierbar, erklärbar oder falsifizierbar. Sie geht über die Verstandesgrenzen hinaus, wenngleich sie diese umschließen kann. Sie ist nicht irrational, aber auch nicht rational. Sie ist strukturiert und offen, sie hält Widersprüche aus, sie ist einschließend, umarmend, verständnisvoll, nachsichtig, undogmatisch. Sie ist erfüllt mit Licht. Ist es das, was die mittelalterlichen Mystiker sahen?

Pfade, die ich hier in Indien erfahren darf, sind z.B. Jnana Yoga: Wissen und Weisheit, Bhakti Yoga: Hingabe und Liebe zu einem persönlichen Gott, Karma Yoga: Selbstloses Handeln, Raja Yoga: Meditation und Kontrolle des Geistes, Tantra Yoga: Einheit von Gegensätzen, Kundalini Yoga: Erweckung der Kundalini-Energie. All diese Pfade führen nicht auf etwas zu, sondern haben ihren Ausgangspunkt in Brahman. Diese Form der Erleuchtung zeigt sich, offenbart sich, wird erfahrbar, manifestiert sich durch Praxis. Ich möchte das hier mit aller Vorsicht und Bescheidenheit verstanden wissen, denn die Fallstricke, Illusionen, Irrwege sind immens. Hat sich etwas gezeigt, so verschwindet es zugleich, denn nichts ist permanent. Halte ich einen Gedanken, so schwindet er, wenn ich darüber nachdenke; spüre ich meiner eigenen Existenz nach, so verliere ich mich in Erinnerung und Wunsch; denke ich, sehe etwas im Sinne einer Vision, so kann es sich schnell als Illusion, als Scheinbild entlarven. Ich versuche, auf dem Pfad der Upanishaden zu bleiben, dies scheint ein guter Wegbegleiter zu sein. Erleuchtung kommt von innen, auf all seinen Ebenen, sie kommt nicht durch aufklärerische Rationalität – Verstand und Vernunft.

In Heidelberg hatten wir diesen virtuellen Giftschrank mit Philosophen die einem den Kopf verdrehen, die Welt so anders sehen, dass alles konventionelle Denken infrage gestellt wird. Wir lachten oft darüber und waren fasziniert aufgrund ihrer schirren Möglichkeit ihrer Existenz. Schopenhauer, Spinoza, Whitehead waren da drin. Eigentlich war dieser „Giftschrank“ der Schrank der Gegenseren, zu den Auswüchsen der Aufklärung.

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