Ich hatte immer Bauchschmerzen mit einer atomistischen Weltanschauung. Wir lernen in der Schule, dass die kleinsten Bauteile des Universums Atome seien. Nun ist die Physik weiter, wir sprechen von Protonen, Elektronen, Positronen, Quarks und Strings etc… Im Kern bleibt die Idee aber dieselbe, die Welt sei aus kleinsten Teilen von Materie zusammengesetzt. Dies ist eine so weit verbreitete Idee, dass wenige Menschen daran zweifeln, d.h. an der Ausschließlichkeit dieses Weltbildes zweifeln. Ich möchte ausdrücklich nicht die Physik, Chemie oder andere Naturwissenschaften infrage stellen. Nur möchte ich fragen, warum wir für uns akzeptiert haben, dass in letzten Fragen eben diese Wissenschaft das letzte Wort hat.
Es gibt natürlich immerschon eine Gegenerzählung. Panta rhei nannte Heraklit, ein Zeitgenosse Platons, ein Prinzip des ewigen Flusses. Wir können nicht zweimal in denselben Fluss steigen, alles ist im Fluss, d.h. alles verändert sich ständig, es gibt keinen festen Aufbau der Welt. Wir können sie nicht in ihre Einzelteile zerlegen. Das Universum ist ein Prozess. Unser Leben ist eine ständige Veränderung, und ich meine nicht nur die Tatsache, dass wir jede Sekunde älter werden. Wenn es etwas gibt, das es schon immer gab, dann ist es Veränderung.
Paradoxien
Was treibt die Welt an? Was treibt uns an? Henri Bergson sprach vom Elan Vital, einem Lebensschwung, eine Kraft, die alles Leben antreibt. Bergson beschäftigte sich mit den Zenon Paradoxien, die Schildkröte z.B., die bei einer wissenschaftlichen Beschreibung nicht von dem schnellsten Läufer der Antike – Achilles – überholt werden kann. Die Idee: Wenn die Schildkröte einen Vorsprung bekommt, weil sie langsamer ist, dann ist sie zu dem Zeitpunkt an dem Achilles dort angekommen ist, wo sie losgelaufen ist, ja schon wieder ein Stückchen weitergelaufen. Achilles braucht nun wieder etwas Zeit dahin zu kommen usw… Achilles kommt immer näher an die Schildkröte ran, überholt sie aber nie. Mathematisch ist das eine korrekte Theorie. Nur ist es eben nicht so, dass Achilles die Schildkröte nicht überholt. Auch dieses Rätsel wurde zur Zeit von Platon und Herakles formuliert. Große Mathematiker beißen sich bis heute daran die Zähne aus. Warum passt unsere naturwissenschaftliche Beschreibung nicht auf die Realität?
Weil wir in fixierten Einheiten denken, anstatt den Prozess wahrzunehmen. Panta rhei, Elan Vital. Mir wurde hier klar, warum ich mit dem atomistischen Model Bauchschmerzen hatte. Wir sezieren Kadaver, um Leben zu verstehen. Wissenschaft (Science) Scienzia ist eine Technik des Zerlegens, des Zerteilens. Sie ist in ihrem Wesen reduktionistisch und explizit nicht holistisch. Warum aber lassen wir so eine Spezialtechnik wie die Wissenschaft, unser Weltbild, Selbstbild und unsere Sinnstiftung dominieren? Nur weil Wissenschaft sehr gut ist in dem, was sie macht, heißt das ja nicht, dass sie alles kann.
Prozess und Bewusstsein
Viele Jahre habe ich über Prozesse geredet. Ich hatte da eine Frage… mir war das selbst nicht so klar, und so war es auch nicht verwunderlich, dass viele Menschen, mit denen ich diskutiert habe, am Ende im besten Fall verwirrt waren. Mein Steckenpferd war ja die Bewusstseinsphilosophie und Kunsttheorie. Wieso redete ich die ganze Zeit über Prozesse – natürliche Prozesse, technische Prozesse, Wahrnehmungsprozesse, Bewusstseinsprozesse. Weil es nichts anderes zu geben scheint, dachte ich. Kunst ist ein Prozess, das Leben ist ein Prozess, das Universum ist ein Prozess. Mir war das klar, nur fand ich keine Theorie, in der ich mich zu Hause fühlte (außer Alfred North Whitehead, mit dessen Mathematik ich aber wirklich nicht mithalten kann). Es schien so ein Thema zu sein, das alle irgendwie kennen, aber niemand erklären kann. So wie die Zeit. Alle reden darüber, niemand versteht sie.
Alles ist Bewusstsein. Das würde es erklären – nicht nur phänomenologisch, sondern spirituell. Elan Vital – Lebensschwung.