Aussteigen ist eine Frage der Perspektive

Das Leben ist so komplex und es gibt so viele verschiedene Arten und Weisen zu leben. Es gibt kein richtiges oder falsches Leben. Das Leben ist ein Geschenk.

Aber was sagst du über die negativen Energien, die Destruktion und Aggression, die Gier und Missgunst? Das alles gehört dazu. Es gibt nur Akzeptanz. Akzeptanz heißt aber nicht, alles gutzuheißen und auch nicht alles zu tolerieren. Wenn sich eine Gemeinschaft dazu entschließt, Regel aufzustellen und die Verletzung dieser Regeln zu sanktionieren, dann ist das auch eine Form der Akzeptanz. Als Menschheit haben wir 1945 mit den Vereinten Nationen die Charta der Menschenrechte unterschrieben. Daraus folgt viel, vor allem wie wir miteinander umgehen sollen, was ok ist und was nicht. Akzeptanz heißt nicht, dass wir nicht versuchen sollten, und nicht versuchen können, die Welt zu verändern.

Die Ausgeschlossenen

In den letzten Generationen haben so viel diskriminierte Minoritäten um ihre Rechte gekämpft, weil sie entweder gegen die Normen verstoßen haben oder ausgebeutet worden sind, oder beides. Diese Diskriminierung ist natürlich das genaue Gegenteil von Akzeptanz.

Wenn sich aber ein Mensch entscheidet, sein Leben zu verändern und den sogenannten Status Quo zu verlassen. Dann spricht die Status Quo Gesellschaft von einem Aussteiger. Aber ist es nicht viel eher so, dass die Menschen, die sich entschieden haben, den Status Quo nicht zu ändern, aus dem Leben ausgestiegen sind? Sie verharren in einer Starre. Wahrscheinlich brauchen wir irgendwie Traditionen, Rituale, Strukturen, Regeln, um als Gemeinschaft zu funktionieren. Und Teil dieser Strukturen mag sein, dass man sie nicht willkürlich und individuell ändern kann.

Es gibt hier eine Beziehung. Menschen, die aus der Mehrheitsgesellschaft ausgestoßen sind und Menschen, die sie verlassen wollen. Wieso dürfen oder wollen einige nicht an diesem Diskurs in einer Gesellschaft teilnehmen? Ist das lediglich eine Frage der Normalverteilungskurve (Gauß), oder gibt es in der Mehrheitsgesellschaft strukturell blinde Flecken?

Zerfall und Bewahrung

Die Geschichte zeigt, dass es viele Gesellschaften gab, die untergegangen sind, teilweise wurden sie von Feinden geschlagen oder durch Naturkatastrophen zerstört, teils sind sie aber auch an Dekadenzerscheinungen, inneren Konflikten, oder Fehlentscheidungen niedergegangen. Vor allem aber zeigt es, dass es unendlich viele verschiedene Gesellschaftsformen gibt, und dass die Wertesysteme sich radikal ändern können.

Die meisten Gesellschaften haben Funktionen von Priestern, Philosophen, Künstler, Schamanen, Intellektuelle etc., die eine Sonderposition haben. Sie sind nicht an der Aufgabenverteilung des Alltags, den Produktionsprozessen und Verteilungsmechanismen beteiligt und haben eine reflektierende Funktion. Sie verwahren die Archive, entwickeln neue Ideen, bieten Interpretationen bei Konflikten. Im Idealfall sind sie die Beschützer der Weisheit, der Wissensschätze. Sie sind eingebunden in eine andere Zeit, haben Zugang zu einem anderen Bewusstsein. Sie sehen das Davor und das Danach von Gesellschaften. Daher sind sie essenziell, verehrt und gefürchtet zugleich.

Radikale

Diese Sonderpositionen, die sie einnehmen, sind Freiräume einer Gesellschaft. Hier werden neue Spielregeln erprobt. Diese Spielwiesen unterliegen einem besonderen Schutz. Ihre Orte zu verändern, wird von der Gesellschaft vehement verteidigt. Da darf nicht jeder mitspielen. Und wenn da nun jemand ‚aussteigt‘? Dann sagt er oder sie damit ja auch, dass dieses System der Freiräume nicht mehr funktioniert. Der heiligste Ort einer Gesellschaft wird damit infrage gestellt. Auch das wird vehement verteidigt.

Und die Aussteigerin? Hat sie sich nicht genug angestrengt, und bloß den richtigen Ort innerhalb einer Gesellschaft noch nicht gefunden. Hat sie einfach zu früh aufgegeben? Vielleicht war sie nur zur falschen Zeit am falschen Ort und hätte in einem anderen Leben ihren Ort gefunden. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht ist auch in der aktuellen Gesellschaft einfach kein Ort für sie. Vielleicht gibt es diese blinden Flecken.

Einsiedler, autonome Kommunen, Klöster, Gurus markieren Positionen in der Welt, die sich den aktuellen Gesellschaften entziehen. Sie sind nicht assimilierbar. Insofern sind sie radikal. (Ich rede hier von friedlichen Positionen und nicht von revolutionären Positionen.) Diese friedlichen Positionen nehmen eine Satellitenposition ein.

Sie haben eine Leuchtkraft, weisen den Kosmonauten den Weg.

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