Das Wort werden ist im Deutschen etwas entstellt: „Das wird doch nix!“, oder „Das wird schon…“. Es steckt im deutschen ‚werden‘ etwas kausales, ein Prozess der Entwicklung. Im Englischen ist das Wort ‚becoming‘ schöner, etwas kommt ins Sein. Das ist offener: ‚coming into beeing‘. Im Französischen spricht Deleuze von ‚devenir‘, also von „etwas kommen“, es ist aktiver, eine Bewegung, von etwas weg hin zu etwas anderem. Es ist wichtig solche kleinen feinen Unterschiede wahrzunehmen, wenn man sich mit Deleuze Denken beschäftigt, denn das ist die Schule des Postmodernen Denkens, in solchen kleinen Unterschieden, den Differenzen und Strukturen etwas zu sehen, das vorher nicht sichtbar war. Wenn Deleuze also in der englischen Übersetz von ‚What is Philosophy‘ sagt “becoming is an extreme contiguity within a coupling of to sensations without resemblance or, on the contrary, in the distance of a light that captures both of them in a single reflection.“ Ich musste diesen Satz über viele Jahre immer wieder lesen, um ihn zu begreifen. Zwei Empfindungen, die sich nicht ähnlich sind, berühren sich, so wie in der Ferne eines Lichts, das beide Empfindungen in einer einzigen Reflexion einfängt. Da muss man ein wenig pausieren.
Was ist z.B. der Unterschied zwischen ‚entstehen‘ und ‚werden‘? Gibt es ein ‚werden‘ in der physikalischen Welt? In der Welt der Atome und der physikalischen Kräfte gilt der Energieerhaltungssatz. Materie und Energie kann sich wandeln, ihre Anordnung verändern, E=mc2 usw… Ein Prozess des ‚werdens‘ im Sinne von becoming oder devenir ist aber etwas anderes. Hier geht es um Empfindungen, Sinneseindrücke, Bewusstsein. Wie werden zwei Empfindungen zu einem Sinneseindruck? Wie wird ein Sinneseindruck zu einem anderen? Wie verändert sich Bewusstsein über Zeit? Wie verändert sich eine Person? Was sehe ich auf einer Leinwand? Wer hört beim Hören? Das ist die Welt des werdens. Empfindungen sind kontingent. Sie vereinen sich zu einem umfassenderen Sinneseindruck. Sie tun dies nicht indem sie verschmelzen, oder durch Ähnlichkeit gruppiert werden, sondern in einer Reflexion. Eine Reflexion eines fernen Lichts, das mehrere Empfindungen vereint. Das Bild ist schön. Die Reflexion ist aber kein Abbild, keine Repräsentation, sondern reflektiert Licht. In dieser Reflexion können unterschiedlichste Elemente ganz nah beieinander sein, große Kontraste können harmonisch erscheinen, verschiedene Qualitäten können sich berühren.
Doch wo kommt das Licht her, in der Ferne? Und wo wird die Reflexion wahrgenommen? Wer sieht beim Sehen? Die Reflexion von Licht und Klang, Wärme und Impuls hat ihren Ursprung in der Vibration und erzeugt Vibration bei Kontakt. Diese Eindrücke vereinen sich im Bewusstsein, sie werden Bewusstsein.
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