Gerade komme ich von einer Andachtsmeditation zurück. Es ist der Jahrestag von Sri Aurobindo. Er hat vor 72 Jahren seinen Körper verlassen, wie man hier sagt.
Ich habe die letzten Tage viel über seine Kommentare der Kena Upanischad nachgedacht und gesprochen. Ich stieß da über das Wort ‚intermiscence‘. Es wird fast nur von Aurobindo verwendet. Ich fragte alle Menschen, die ich traf, was das Wort heißt. Ein Freund hier fand als eine Übersetzung ins Deutsch ‚ineinanderfließen‘ (es beschreibt im Deutschen das Mischen von Flüssigkeiten).
Dieses Wort erscheint an einer so zentralen Stelle bei Aurobindo, und es so einzigartig, dass mein akademischer Geist neugierig geworden ist. Warum ein solch ungewöhnliches Wort an so einer wichtigen Stelle?
Kena Upanischade
Um was geht es? In der Kena Upanischad steht die Frage im Zentrum, wer beim Denken denkt, wer beim Hören hört, wer beim Sehen sieht… Aurobindo’s Kommentar ist eine philosophische Analyse. Er beschreibt dort ein ganzes philosophisches System, eine Skizze von Epistemologie, Metaphysik, Empirismus, Sprachphilosophie, Bewusstseinstheorie.
In den Upanischaden geht es immer wieder um die Frage, wer oder was wir sind. Unser Geist, unsere Individualität, unsere Seele, was ist die Welt, wer hat sie erschaffen, wie funktioniert der Kreislauf des Lebens. Vieles fängt – ähnlich wie bei Deleuze – mit der Vibration an, dann kommt der Rhythmus und dann eine Gruppierung, Ausdifferenzierung und Bewegung. In der Verstetigung entsteht Kraft und schließlich Form. Dies ist das Geheimnis der Schöpfung, die Vibration, die Urkraft.
In der rationalen Welt wird diese Vibration wissenschaftlich aufgefasst. In der spirituellen Welt als Bewusstsein, ein Ur-bewusstsein – Brahman – das sich ausdifferenziert, um sich selbst zu erkennen. Die Welt existiert als Manifestation dieses Ur-bewusstsein und alles ist letztlich Eins. Aurobindo’s Philosophie könnte man beschreiben als einen Versuch, die verschiedenen Ebenen dieser Ausdifferenzierung in den unterschiedlichen Bewusstseinsebenen zu identifizieren: Lebenskraft, die wir schon bei Kleinstlebewesen finden, verschiedenen Formen von Wahrnehmungsbewusstsein und deren Synthese, reflektierendes und sprachliches Bewusstsein, Intuition, Erkenntnis. Sie bilden verschiedene Verhältnisse zur Welt (Aurobindo verweist hier auf vijñāna, prajñāna, saṁjñāna and ājñāna).
Wie verbindet sich das, das beim Denken denkt, mit dem Gedachten?
Eine zentrale Frage ist doch, wer oder was ‚mein‘ Bewusstsein hat, wie es synthetisiert wird und in welchem Verhältnis es zu dem Ur-bewusstsein Brahman steht.
Der Absatz in dem das Wort ‚intermiscence‘ auftaucht, beschreibt eine Vertiefung des Kontakts. Kontakt kann hier maximal breit verstanden werden: Kontakt zwischen Energie (Rhytmus), Materie, Bewusstsein, Sinneswahrnehmung etc… Die Ergänzung von Kontakt durch ‚intermiscence‘ (ineineanderfliessen) beschreibt das, was wir eigentlich nicht verstehen können, d. h. die Verbindung zwischen Bewusstsein und Materie. Und es einsichtig ein Wort zu verwenden, das theoretisch nicht vorbelastet ist, ein frisches Wort sozusagen.
„But this vibration of conscious being is presented to itself by various forms of sense which answer to the successive operations of movement in its assumption of form. For first we have intensity of vibration creating regular rhythm which is the basis or constituent of all creative formation; secondly, contact or intermiscence of the movements of conscious being which constitute the rhythm; thirdly, definition of the grouping of movements which are in contact, their shape; fourthly, the constant welling up of the essential force to support in its continuity the movement that has been thus defined; fifthly, the actual enforcement and compression of the force in its own movement which maintains the form that has been assumed. In Matter these five constituent operations are said by the Sankhyas to represent themselves as five elemental conditions of substance, the etheric, atmospheric, igneous, liquid and solid; and the rhythm of vibration is seen by them as śabda, sound, the basis of hearing, the intermiscence as contact, the basis of touch, the definition as shape, the basis of sight, the upflow of force as rasa, sap, the basis of taste, and the discharge of the atomic compression as gandha, odour, the basis of smell.“
Mir wurde das heute bei meiner Andachtsmediation klarer.
OM, Friede, Friede, Friede
Wer ein bisschen tiefer in die Kena Upanischad einsteigen möchte, sei hierauf verweisen: Sri Aurobindo Vol 18 , p. 58