Als das Internet der Öffentlichkeit zugänglich wurde, d. h. Mitte der 90er-Jahre, gab es das Phänomen, dass Menschen ihre tiefsten Geheimnisse ins Internet stellten. Die Anonymität, die Einfachheit und die Schnelligkeit waren verführerisch. Die Beichte schnell abgelegt, die Anonymität weitestgehend gewahrt und vielleicht gab es sogar diesen kleinen Nervenkitzel, dass vielleicht jemand, den man kennt, die Geheimnisse liest, ohne zu wissen, wer dahintersteckt. Diese Tele-Beichten, waren kathartisch. Heute hat sich das umgekehrt, alle sollen sehen, was man tun, ohne mitzubekommen, was man wirklich denkt. Auch das mit der Anonymität hat sich geändert.
Etwas zu schreiben, ohne den eigenen Namen zu verwenden, hat etwas Ähnliches. Natürlich könnte jeder über den Domaininhaber die Identität ausfindig machen, darum geht es aber gar nicht. Spannend ist das öffentlich schreiben. Das eigene ich in den Hintergrund zu stellen, und die Gedanken sich selbst organisieren zu lassen. Es ist vielleicht sogar eine Art Meditation, bei der es ja auch viel darum geht, das eigene Ichbewusstsein ein Stück weit zu überwinden und in ein größeres kollektives einzutauchen. Diese Faszination strahlte am Anfang auch das Internet aus. In den 60ern waren es die kybernetischen Systeme, die diese Gedanken anregten.
Auf dieser technischen Ebene der Vernetzung beruhen viele Scifi Bücher und Filme: Dune, Matrix, Neuromancer… Es gibt natürlich eine ganz Literaturgeschichte von Netzliteratur. Im Silicon Valley hat sich hieraus eine ‚Technikspiritualität‘ einer radikalen Rationalität im Geiste Ayn Rands in Form eines technischen Turmbaus von Babel entwickelt. Sie hat sich in eine Dystopie verwandelt, wo das Individuum zum Sklaven der Technik wird. Giorgio Agamben schrieb über den Homo Sacer. Unsere ‚Seele‘ wird zum ökonomischen Objekt.