Neulich fragte mich eine Freundin nach dem Verhältnis von östlicher und westlicher Kultur. Das ist natürlich eine enorme Frage, die ich mir auch stelle und die natürlich niemand wirklich beantworten kann. Ich will aber ein paar Gedanken formulieren:
Die Entfernung von einem imaginierten Zentrum
Der ‚westlichen‘ Welt, basierend auf der klassischen Antike, dem Christentum, der Aufklärung und dem Materialismus steht gegenüber die okzidentale Welt der Assyrer und Perser, dem Islam und die Vorstellung eines Gemeinwesens, dass göttlich gelenkt ist. Das ist eine Perspektive aus einem historischen Konflikt heraus, der aus westlicher Sicht durch Alexander den Großen, dem Römischen Reich, und den Kreuzzügen geprägt ist. Es ist eine eurozentristische, koloniale Perspektive, die den Dialog des Abendlandes mit dem ‚anderen‘ vermeidet. Die heute islamisch geprägte östliche Welt, das Morgenland, hatte ebenso eine missionarische Agenda (Dschihad).
Das Ganze ist natürlich viel komplexer, aber mir geht es hier darum, auf den Bereich hinzuweisen. Dieses zumeist konfrontative Verhältnis spielt sich geografisch zwischen der sogenannten westlichen Hemisphäre und dem Nahen und Mittleren Osten ab. Nordafrika wird in dieser Perspektive als kollateral betrachtet. Diese ganze Beschreibung entspringt dem Denken des 19. und 20. Jahrhundert und wird den Realitäten des 21. Jahrhunderts nicht gerecht. Was hier nicht vorkommt, sind die Kulturkreise Chinas und Indiens. In brutaler kolonialer Denktradition ist das lediglich der Ferne Osten. Wir haben also eine geografische Distanzlinie, auf der kulturellen Hemisphäre gereiht werden, und für die die Distanz zum Zentrum (Rom, Konstantinopel, Meridian von Greenwich) ausschlaggebend ist. Das ist absurd, aber dennoch ideologisch real. Eigentlich sollte man hier gar nicht weiterdenken. Dies ist eine alte Ideologie, die bestenfalls ins Museum gehört.
Metaphysische Systeme
Ergiebiger ist eine Ordnung in metaphysische, also philosophische und spirituelle Systeme:
- Monotheismus (weitestgehend einhergehend mit einer rein dualistischen Weltanschauung, die ihren Ursprung im Mittelmeerraum hat)
- einem Denken der Immanenz (das sich leise durch alle Epochen und Kulturkreise durchzieht)
- dem kapitalistischen, wissenschaftlich geprägten Materialismus des 19. und 20. Jahrhunderts (dessen Begrenztheit und Ignoranz gerade den Planeten bedroht)
- die Weisheit der Rishis in den Rigveda und den Upanischaden in Indien
- das, was die kommunistische Kulturrevolution hinterlassen hat.
Meine Formulierung zeigt schon sehr deutlich eine persönliche Präferenz. Es geht hier um Weltbilder, Weltanschauungen, Selbstverhältnisse zur Welt. Sie sind hochgradig subjektiv. Da es sich hierbei nur scheinbar um Wissenssysteme handelt, und auch nicht um Religionssysteme oder Ideologie, sondern um fundamentale Lebenseinstellungen, sind die Auseinandersetzungen hier besonders spannend.
Die Zukunft wird oft als ein Verteilungskampf von Ressourcen wie Wasser, Klimafolgen, Fundamentalisten, Geopolitik, Kapitalströmen, Wissenschaftsutopien und -distopien beschrieben. Es geht im 21. Jahrhundert aber um das ganz Wesentliche: unser Verhältnis als Mensch zur Welt, und letztlich, ob wir in ihr bleiben wollen und wenn ja, wie. Die Dringlichkeit dieser Frage wird mir hier in Indien sehr bewusst, im Westen wird diese Frage immer noch belächelt. Hier scheint mir der wirklich spannende Unterschied zu liegen.
Der Ursprung der Sprache
Um es noch einmal anders zu formulieren. Die universelle Sprache ist auch nicht die Mathematik. Es ist zwar wirklich erstaunlich, wie erklärungswirksam die Mathematik und die auf ihr basierenden Naturwissenschaften sind. Und auch die empirischen Wissenschaften haben eine gewisse Erklärungskraft, da sie Beobachtungen in Theorien formulieren. Doch sie sind eine abstrakte Beschreibungsebene der physischen Welt.
Das eigentliche Mysterium bleibt die Sprache selbst. Am Anfang war das Wort, sagt die Genesis. In den Upanischaden kommt dem Laut eine zentrale Rolle zu. Die Vibration, die Klang erzeugt, der wiederum eine Vorstellung erfasst und eine Form erzeugt, ist ein zentrales Bindeglied unserer Sinne und unseres Geistes. Der spirituelle Laut OM ist ein tiefes Ausatmen, das mit dem Schließen der Lippen endet und den Kern unserer Existenz erfasst. Die Sprache, das Erzeugen von Bedeutung durch Laute, verbindet Wahrnehmung, Ausdruck, geistige Repräsentation, Vorstellung, Kommunikation. Am Anfang war nicht das Wort, sondern der Laut, aus ihm entsteht das Wort, dessen Medium der Geist ist.
Wer hat eine Antwort?
Es kann eigentlich nicht mehr darum gehen, einen Status quo zu bewahren und auch die Idee eines Fortschritts hat sich nun endgültig überholt. Wie können Antworten aussehen?
- Die dominierende Variante ist darüber nachzudenken, wie wir das System der Globalisierung verbessern können.
- Eine mehr individuelle Antwort ist die nach der Ausrichtung des eigenen Lebens an Maximen.
- Eine weiter ist die Transformation des Bewusstseins: individuell, kollektive, universell.
Mir scheint auch hier wieder die Weisheit der Upanischaden schon eine Antwort zu haben. Denn diese drei wesentlichen Ebenen einer Suche nach Antworten gehören zusammen. Sie werden in der Einsicht der Rishis versöhnt. Nur wenn wir unsere materielle Existenz mit unseren Lebensidealen und der Einsicht, dass Bewusstsein nicht isoliert existiert, vereinen, haben wir eine Chance.
Die Mantras der Rishi sind die ältesten spirituellen, überlieferten Texte. Sie zeugen von einem Anfang, der keiner war. Sie zeugen von einem universellen Bewusstsein, das sich nicht aus persönlichen Motiven speist, sondern aus dem menschlichen Geist, einer meditativen Introspektion. Die Lösung liegt in uns selbst, so trivial das klingt, ist es zugleich die höchste Weisheit.