Exhibition „Roots From the Sky“ by Cedric Bregnard at Centre d’Art, Auroville März 2023
Cedric Bregnard ist Artist in Residence at the Centre d’Art in Auroville. Er wird in den nächsten 2 Monaten ein Foto vom Banyan Baum im Matrimandirgarten machen. Dieses Foto wird dann auf die Größe einer Wand (ca.3x7m) in der Galerie skaliert. Bewohner von Auroville sind eingeladen, Licht und Schatten auf der Rinde, den Blättern, den Wurzeln, mit Tusche auf der Wand nachzuzeichnen. Was hinter diesem Prozess steckt, ist komplex und berührt das Wesen der Fotografie, die Materialität von Bäumen und die Kraft des Lebens. Der Baum selbst ist das geografische Zentrum von Auroville und stellt für viele Menschen einen ganz besonderen Ort dar, ein Ort der Kontemplation, Konzentration und Meditation. Dieser Baum ist für viele mehr als nur en Sinnbild von Natur, Mensch und Kosmos. Er manifestiert etwas.
Worum geht es also? Fangen wir mit der Fotografie an, denn Cedric Bregnard ist Fotograf. 1998, als Abschlussarbeit seines Studiums an der Ecole de Photographie de Vevey fotografierte Bregnard Verstorbene. Er nahm sich mehrere Monate Zeit, vier Menschen in einer Palliativklinik in der Schweiz auf der letzten Etappe zu begleiten. Sie willigten ein, dass Cedric Bregnard ein Foto von ihnen macht. Nachdem das Leben den Körper verlassen hatte, nahm er sich 3 Stunden Zeit allein mit dem Verstorben zu verbringen, eine Art Totenwache, um dann genau ein Foto, das einzige Foto, von dem Körper zu machen – ein Porträt. Der Bogen, der hier aufgespannt wird, ist existenziell: Was ist der Übergang von Leben zum Tod? Was ist ein Porträt? Was kann Fotografie darstellen? Was passiert eigentlich genau, wenn ein Foto einen Moment festhält – technisch, zeitlich, metaphysisch?
Fotografien sind technische Bilder. 1826 gelang Joseph Nicéphore Niépce da erste Lichtbild. Louis Daguerre entwickelte den fotochemischen Prozess 1839 bis zur Patentreife weiter, und es waren die Brüder Louis und Auguste Lumière, die 1895 den Kinematografen erfanden. Dieser Apparat erlaubte es, Filme sowohl zu drehen, also auch zu projizieren. Die lebensgroßen laufenden Bildprojektionen verdrängten die Laterna Magica und die Phantasmagorien.
1907 kritisierte Henri Bergson in seinem Buch Creative Evolution den Kinematografen als einen Apparat, der Trugbilder erzeugt. Die Abfolge von Einzelbildern, die die Illusion von Bewegung erzeugen, seien letztlich eine Lüge. Ähnlich argumentierte schon Platon: Malerei sei Lüge, denn einen gemalten Apfel könne man ja nicht essen. 1985 ‚rettete‘ Deleuze das Kino vor dem Vorwurf der Lüge, indem er argumentierte, dass die Kritik zwar richtig sei, aber kurzsichtig. Der Filmstreifen enthielte doch mehr als nur Einzelbilder, er sei nicht die Illusion von Bewegung, sondern reines Denken, sei materielle Philosophie. Die Schnitte und Kollagen ließen Gedankenströme zu, die nur dem Film möglich sei. Film sei nicht ‚Wahrheit 24-mal pro Sekunde‘ (Godard), sondern reine Philosophie. Der Elan Vital (Bergson), d.h. die Lebenskraft, die dem Kinematografen fehle, wird durch die Kraft des Denkens erweitert.
Latente Bilder
Cedric Bregnard Performances verhalten sich implizit zu dieser Diskussion, wenn auch mit deutlich anderer Tonlage. Denn es geht darum, wie Fotografie das technische Bild transzendieren kann.
Also noch einmal zurück zum Anfang der Lichtbilder. Mithilfe von fotochemischen Verfahren werden Lichtstrahlen eingefangen. Ein latentes Bild entsteht, d.h. es gibt einen Lichtabdruck in einem chemischen Film, der sich auf einem Trägermaterial befindet. Sichtbar wird das latente Bild dann, wenn die durch das Licht veränderten durchsichtigen chemischen Verbindungen durch farbige chemische Verbindungen ersetzt werden. Bei Daguerre war das noch Silber auf eine Glasplatte. Durch den Kodakfilm wurde aber das Arbeiten mit Negativen populär und kostengünstig. Die Negative konnten im großen Labor effizient vergrößert werden. Diese Abzüge bezeichnen wir als allgemein als Fotografien. Es ist also die Natur, die hier ‚malt‘, das Licht wird mithilfe eines Apparates eingefangen und durch Chemie sichtbar gemacht. Der Fotograf wählt lediglich den Ort, die Zeit und den Ausschnitt.
Bei Bregnard’s Prozess und seine Leistungen gibt es eine ganz wesentliche Verschiebung innerhalb dieses ‚Malen der Natur‘. Auch er wählt einen Ort, die Zeit und den Ausschnitt – d.h. ein Objekt – konkret einen Baum – den er mit einer Kamera fotografiert. Anstatt jedoch einen fotochemischen Prozess zu verwenden, verwendet er einen sehr hochauflösende digitalen Prozess. Die Pixel, die ein wenig wie ein latentes Bild fungieren, werden durch einen Ausdruck auf Papier sichtbar gemacht. Die mathematische Beschreibung jedes einzelnen Pixels wird mithilfe eines Algorithmus und eines Druckers in eine grafische Darstellung transformiert. Die meisten Fotografen, die digital arbeiten, nehmen diese Ausdrucke als Endresultate. Sie sind das Äquivalent zu analogen Abzügen, d.h. Fotografien.
Gemeinsam sichtbar machen
Bregnard arbeitet etwas feiner. Für ihn sind die Ausdrücke quasi Negative. Eine Zwischenstufe zum endgültigen Bild. Der Abzug dieses Negatives entsteht in der Performance. Und hier wird es ein wenig magisch.
Das ‚Negativ‘ das Bregnard ausdruckt, ist schwarz-weiß ohne Grauwerte. D.h. jeder durch die Kamera eingefangen Lichtreflex wird auf entweder Schwarz oder Weiß, ‚Licht oder Schatten‘ festgelegt. Dieses Negativ dient als Grundlage für die Performance. Jeder kann nun teilnehmen und die Spuren von Licht und Schatten nachzeichnen. Das Bild des Baums wird kollektiv mit Tusche nachgezeichnet. Ein schönen Detail hierbei ist, dass Tusche aus Kohle gemacht wird, die wiederum verkohltes Holz ist – abgestorbener Baum.
Das kollektive Nachzeichnen mit Tusche selbst ist ein Prozess, den Bregnard ‚laufen lässt‘. Er nimmt sich selbst da raus. Es ist wiederum Natur, die hier zeichnet. Natur im Sinne von Gegensatz zu Technik. Aber es ist eine höher Form von Natur, es ist Bewusstsein im kollektiv. Dass dieser Prozess nun hier in Auroville in Bezug auf den Banyonbaum stattfindet, ist wunderbar. Dass dies in einer Zeit geschieht, wo Auroville’s treibende Kraft ‚Diversity in Unity‘ einer Kraftprobe unterzogen ist, mag für einige nicht bloß symbolisch sein.
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Bergson, Henri. Creative Evolution. New York: Henry Holt & Company, 1911.
Deleuze, Gilles. Cinema 1: The Movement-Image. 9. print. Minneapolis: University of Minnesota Press, 1986.
———. Cinema 2: The Time-Image. Minneapolis: University of Minnesota Press, 1989.
„Cedric Bregnard | Cedric Bregnard“. Zugegriffen 10. Februar 2023. https://www.cedricbregnard.ch/.