Lesen

Seit drei Wochen lese ich nun in Indien: Deleuze, Upanischaden, Sri Aurobindo. Zwischendurch meditieren manchmal. Der Rest ist noch ein Rest aus dem Alltag aus der Neuen Welt. Nachrichten lesen, Unterhaltungsmedien konsumieren, Dinge organisieren, die hier eigentlich keine Bedeutung haben, aber einer Kontinuität bedürfen, damit sie nicht zerbrechen im alten Europa, und der Neuen Welt.

Lesen also… Mir scheint, ich habe mich Jahrzehnte lang vorbereitet, hier zu lesen. Mein Denken oszilliert zwischen Deleuze und den Upanischaden. Diese Weisheit in Indien, dass alles eins ist, und das ganze Universum nur deshalb existiert, weil das Selbst sich selbst erkennen will, ist so unglaublich stark, dass ich noch immer nur erahne, wie tief dieser Gedanke ist. Schopenhauers Titel ‚Die Welt als Wille und Vorstellung‘ fängt an Sinn zusammen, Deleuze Referenz zu Spinoza als spirituellen Denker der Immanenz macht auch Sinn.  Deleuze Buch zur Immanenz nocheinmal zu lesen, trau’ ich mich noch nicht. Stattdessen 1000 Plateaus… Dieses Buch, das gar keins ist, sondern eine Maschine, eine Denkmaschine (Professor Dr. Dr. Dr. Augustus van Dusen, auch Die Denkmaschine lässt grüßen)…

Ich habe Seminare mit dem Buch gestaltet, ohne es je richtig verstanden zu haben. Es lässt sich ja eigentlich auch kaum lesen. Es ist eher ein Instrument. Der Versuch, die Welt grundlegend anders zu denken. Auf jeder x-beliebigen Seite wird das konventionelle kapitalistische, dualistische, kategoriale Denken herausgefordert. Ich habe mich immer gefragt, wie Deleuze und Guattari auf eine solche Bewusstseinsstufe gelangt sind. Wie haben die das gemacht, sich so weit aus der herrschenden Ideologie herauszubewegen, dass sie wie Propheten von einem inklusiveren Denken wirken. Ich wollte das gemeinsam mit meinen Studenten herausfinden. Wir sind natürlich gescheitert, aber schön, und sahen die Welt danach mit anderen Augen, und darum geht es doch an einer Universität, oder?

Deterritorialiserung

Nun aber verbinden sich die Gedankenwelten. Die biologischen Referenzen, die zentrale Stellung der Kunst (die bei Tieren viel spannender ist als bei Menschen), das Denken in der Immanenz, die fliegenden Linien, Territorien und abstrakten Maschinen. All das lässt sich für mich eigentlich nur von den Upanischaden her verstehen. Und heute habe ich ein Zitat gefunden, dass ich teilen möchte. Es geht dabei um Deterritorialization. Ein komplizierter Begriff, der auf vielen anderen komplizierten Begriffen aufbaut. Die Grundidee scheint mir aber zu sein, dass die Welt zusammengesetzt ist aus ihren Elementen. Diese formen sich zuerst in Strata/Schichten (z.B. geologischen Schichten). Innerhalb dieser Schichten resonieren die Elemente miteinander, sie bilden einen Rhythmus und erzeugen so ein Milieu. Das kann man sich im Tierreich recht anschaulich vorstellen, z.B. Vogelgesang, es gibt da Refrain und Riten… Dieses Milieu erzeugt ein Territorium, ein Zuhause. Das Selbst in diesem Territorium, wo es zu Hause ist, ist geprägt durch die Schichten, Milieus, Rhythmen etc… und erzeugt ein Zuhause durch die Schaffung von Kunst z.B.. Es drückt sich aus, erzeugt Zeichen und Symbole, es wird semiotisch und betritt den Bereich der Kunst (das kann das Muster eines Schmetterlings sein, der Hausbau eines Bowerbird, ein Haus. Innerhalb dieses Territoriums gibt es dann Bewegungen, auch Denkbewegungen, die dort herausführen. Das Leben, die Gedanken, die Erde sie deterritorialiseren. Nun also das Zitat in einer DeepL Übersetzung des englischen Originals (D steht für die Funktion der Deterritorialization):

„Dies zeigt sich bereits im Mysterium der „Geburt“, in der die Erde als glühender, exzentrischer oder intensiver Brennpunkt außerhalb des Territoriums liegt und nur in der Bewegung von D existiert. Mehr noch, die Erde, das Gletscherland, ist die Deterritorialisierung schlechthin: deshalb gehört sie zum Kosmos und stellt sich als das Material dar, durch das die Menschen kosmische Kräfte anzapfen. Man könnte sagen, dass die Erde als Deterritorialisierung selbst das strenge Korrelat von D ist. Das geht so weit, dass D als Schöpfer der Erde bezeichnet werden kann – eines neuen Landes, eines Universums, nicht nur einer Reterritorialisierung.

Dies ist die Bedeutung von „absolut“. Das Absolute drückt nichts Transzendentes oder Ununterschiedenes aus. Es drückt nicht einmal eine Größe aus, die alle gegebenen (relativen) Größen übersteigen würde. Es drückt nur eine Art der Bewegung aus, die sich qualitativ von der relativen Bewegung unterscheidet.“

Ich werde die nächsten Monate damit verbringen, zu verstehen, was das wirklich heißt.

Hier das englische Original:

“This can already be seen in the mystery of the „natal,“ in which the earth as ardent, eccentric, or intense focal point is outside the territory and exists only in the movement of D. More than that, the earth, the glacial, is Deterritorialization par excellence: that is why it belongs to the Cosmos, and presents itself as the material through which human beings tap cosmic forces. We could say that the earth, as deterritorialized, is itself the strict correlate of D. To the point that D can be called the creator of the earth—of a new land, a universe, not just a reterritorialization.

This is the meaning of „absolute.“ The absolute expresses nothing transcendent or undifferentiated. It does not even express a quantity that would exceed all given (relative) quantities. It expresses only a type of movement qualitatively different from relative movement.” Deleuze 1000 Plateaus p. 509

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