Autobahnen sind immer besondere Orte für mich gewesen. Meistens war ich nicht unter Zeitdruck, selten musste ich in einer bestimmten Zeit von A nach B. Vielmehr sind Autobahnen Reiserouten. Ich befinde mich dort in Zwischenzuständen, eine Art Niemandsland mit unendlich vielen Möglichkeiten. Das eröffnet Denkräume. Oft sind die einfach leer. Das Gehirn ist damit beschäftigt, sich sicher im Verkehr zu bewegen. Es ist eine angenehme Art der Beschäftigung, das Bewusstsein ist ausgelastet und wachsam, ein Fehler wäre tödlich. Wenn ich unterfordert bin oder müde werde, dann fahre ich ebenen etwas schneller, oder langsamer, oder mache eine Pause. Das erzeugt eine Art Equilibrium.
In diesem Equilibrium können andere Gedanken unbemerkt sich sortieren und fortspinnen. Nur gelegentlich hält mein Bewusstsein an einem Gedanken fest. So können Gedanken ihren Weg finden, ohne sofort den üblichen Gedankenfiltern zu begegnen. Ich lerne mich auf der Autobahn immer wieder ein wenig neu kennen, oder erinnere mich an ein früheres Selbst.
Hinzu kommt der physikalische Raum. Dieser ist entweder bekannt und löst daher Assoziationen aus, die quasi von außen angestoßen werden. Oder es ist ein neuer Raum, der einlädt zum Träumen und die Neugierde weckt. Ich persönlich empfinde das immer positiv. Angst oder unangenehme Gefühle kenne ich auf der Autobahn eigentlich nicht, wenngleich ich natürlich auch manchmal über Unangenehmes nachdenke, das ist klar.
Dieser Raum der Bewegung, des Reisens, der Assoziation, der sanften Stimulation und Wachheit, bringt mich fast immer irgendwann dazu über meine Kindheit nachzudenken. Ich bin ja auch in einem Land aufgewachsen, wo viel Auto gefahren wird. Es wäre schön, wenn sich das bald ändert, und ich selbst versuche auch weniger Auto zu fahren. Zeitgemäß ist das ja nicht mehr, und eigentlich auch ein bisschen verantwortungslos.
Dieser Raum also ist ein gegebener Raum. Er ist nicht kreativ, oder frei. Es ist ein Raum mit starken Bedingungen. Ich tauche gerne in diesen Raum ein, um zu sehen, aus welchen anderen Räumen ich mich eigentlich befreien möchte. Wahrscheinlich geht es vielen Menschen so, dass wir beim Autofahren unseren Gedanken nachhängen und unser Leben irgendwie verändert wollen.
Ich bin gerne auf der Autobahn. Das Reisen auf der Autobahn ist ein metaphorischer Ort, ein physikalisch metaphorischer Ort – eine physikalische Metapher. Ich habe früher viel über Theorien von sprachlichen Metaphern nachgedacht. Was bedeuten sie, was ist ihre sprachliche Referenz, wie funktionieren sie… vor allem in der Kunst und Literatur. Metaphern sind Worte, die in einem bestimmten Kontext etwas anderes bedeuten, als sie normalerweise bedeuten. Das ist spannend!
Reisen auf der Autobahn ist das Gegenteil von einer Simulation, und doch funktionieren diese Räume ähnlich: Simulationsräume und Reiserouten. Beide Räume bedeuten etwas, was sie eigentlich gar nicht sind.