Die erträgliche Leichtigkeit des Seins

Manchmal ist Meditation ganz einfach und natürlich. Ich setze mich hin, gehe in meinen Körper, werde meines Sinnesapparates bewusst und wie mein Bewusstsein und Verstand damit umgeht, bringe alles zur Ruhe und höheres Bewusstsein zeigt sich, eine andere Art von Wissen, Raum und Zeit, eine andere Erfahrungswelt…

Manchmal ist es aber auch schwer, und dann lerne ich, wie Meditation wirklich geht. Ich setze mich hin, ein Chaos an Gedanken und Gefühlen macht sich breit. Es dauert lange, bis ich das überhaupt bemerke, so gefangen bin ich in meinem Kopf. Wenn ich das merke, fokussiere ich meinen Atem, versuche, mir meinen Körper bewusst zu machen. Da gibt es ein Außen, einen Körper, ein Innen. Das ist durch den Atem verbunden. Ich werde gewahr, dass ich lebe, dass mein Körper und Geist lebendig sind und ich frage mich, was das heißt. Lebendig sein, bewusst sein, denken, fühlen. Dies ist ein guter Zeitpunkt, sich auf die Chakren zu konzentrieren. Verschiedene Ebenen des Seins. Kundalini, die Schlange, ist eine gute Führerin. Sie rollt und reckt sich, kriecht empor durch die verschiedenen Ebenen des Seins, durch die Materie, die Sexualität, die Gefühlswelt, durch das Herz und die Sprache, den Verstand und das Bewusstsein, dann durch die Erfahrung von Satchitananda, des höheren Bewusstseins. Dieser Weg kann schnell gehen, ein paar kleine Minuten, oder sich Zeit lassen, pausieren und genau schauen, was auf den Ebenen los ist. Dabei merke ich, dass sich meine Sitzposition äußerlich wahrscheinlich unmerklich, innerlich jedoch radikal ändert. Eine kleine, klitzekleine Korrektur der Wirbelsäulenhaltung öffnet eine neue Ebene, ein neues Plateau und setzt Energien frei. Es ist ein bisschen wie mit Holzklötzchen einen Turm zu bauen. Wenn die Basis stimmt, kann ich sehr hoch bauen. Wenn die ersten Stockwerke total krumm und chaotisch sind, dann wird es nach oben sehr wackelig und instabil.

Das ist eine feine Gratwanderung, denn die stille Position ist in der Meditation sehr wichtig. Ich tendiere auch dazu, eine relativ strenge Position einzunehmen im halben Lotussitz, manchmal im vollen Lotussitz. Es hilft bei dem, was ich beschrieben habe. Die stille Position, von außen betrachtet fast starr, ist von innen aber hoch agil. Ich brauche eigentlich wenigstens 20-30 Minuten, um die Grundelemente zu aktivieren und in eine energetische Linie zu bringen. Der Körper ist ja so komplex, er lebt, fühlt, atmet, denkt, riecht und hört, schmerzt und erfährt Glück. Zu denken, dass es nur darauf ankäme, ruhig zu werden, ist ein ganz großes Missverständnis. Der Körper ist das komplexeste Instrument, das wir haben, und zugleich so wenig genutzt. Die verschiedenen Praktiken des Yoga dienen genau dieser Erkundung. Mit Übung kann man richtig virtuos werden, und dann erschließen sich Räume, die man zuvor nicht kannte und verspottete, wenn andere darüber sprachen.

Diese inneren Welten sind Welten des Spirituellen. Die Meditation eröffnet den Raum, in dem fast alles möglich zu sein scheint. Mir gefällt die Meditation, weil sie es erlaubt, langsam und behutsam diese Welten zu erkunden. Das geht natürlich auch durch Trance, Substanzen, Rituale, kollektive Erfahrungen. Unzählige Kulturen haben einen enormen Schatz an Praktiken über die letzten Jahrtausende zusammengetragen. Mir sind die aber ein bisschen unheimlich. Das ist ein wenig so, wie wenn jemand mich zu einer Party mitnimmt, und plötzlich steht man in einem hoch energetischen Raum, taucht ein und wird Teil von ihm, verliert sich und verbindet sich, macht neue Erfahrungen, hat einen Rausch der Sinne. Diese Erfahrungen sind toll, geben mir aber nicht die Basis, meine Existenz zu erkunden. Ich bin diesen Erfahrungen ein Stück weit ausgeliefert. In der Meditation hingegen sind alle Pfade offen. Es ist nicht mein Selbst, das da navigiert, es ist vielmehr ein höheres Selbst, aber ich bin in Kontakt mit meinem Selbst, kann das Steuern, wenn ich das möchte, obgleich ein solcher Eingriff innerhalb einer tiefen Meditation kritisch ist; es kann sie leicht auf untere Ebenen zurückwerfen.

Diese Welten, in denen mein höheres Selbst sich mit einem höheren Bewusstsein verbindet, sind Zustände von Glückseligkeit. Es ist, was die Upanishaden den Tiefschlaf nennen, denn der Körper ist vollständig im Tiefschlaf, das Bewusstsein wird nicht durch die Sinne des Körpers stimuliert. Der Körper existiert nicht für die Meditation als Tiefschlaf. Das Bewusstsein, in das meines eintaucht, ist eine spirituelle Erfahrung. Sie ist jedoch ganz real. Es ist mein Bewusstsein, das sich verbindet. Es ist hier und jetzt, es ist diese Welt, nicht eine andere. Es ist Immanenz. Nur eben eine vollere Realität. Ein Schlaf, der eigentlich der höchste Wachzustand ist, denn er lässt sich nicht von äußeren Sinneseindrücken ablenken. Vielleicht hat die Schlange, die das Haupt von manchen Göttern mit 7 Köpfen beschattet und vor Regen schützt, diese Symbolik, dass vieles gleichzeitig gesehen werden kann, dass als Ebenen unseres Körpers in bewusster Klarheit präsent sein können. Die 7 Flüsse, des Rigveda die 7 Ebenen der Existenz.. Diese Bilder sind hier in Indien ja immer so unendlich komplex.

Zugleich sind viele Plateaus, die Kundalini durchströmt, für mich seit langem im Alltagsbewusstsein angekommen. Kontemplation und Reflexion, Sinnlichkeit und Genuss, das Durchleben von Emotionen und das Sortieren von Gedanken, das Abwägen und Entscheiden, all dies sind Ebenen meiner Existenz, die ich als solche akzeptieren kann. Es geht nicht darum, hier die von der Gesellschaft erwarteten ‚richtigen‘ Dinge zu tun, sondern sie als Phänomen ernstzunehmen, sie als Manifestation von Welt zur Geltung zu bringen und sie so gut es geht bewusst zu machen und zu navigieren. So werde ich zu einem Zeugen von Realität, die – an sich und für sich selbst – mir wenig antun kann. Es ist ein Geschenk des Lebens, diese Erfahrungen machen zu können. Darin scheint ein Teil des Sinns des Lebens zu bestehen. Dieses Durchleben…

Manchmal ist Meditation einfach und manchmal schwierig. Manchmal kommt sie einfach so, und einiges muss man üben. Es gibt ein paar Hilfen und unzählige Pfade zu ihr hin. Einen richtigen Weg gibt es nicht. Alles ist okay, denn alles ist Realität, es gibt nichts anderes als Realität. Manche Pfade sind schwieriger, und manche haben Konsequenzen, that’s it.

 

Weiterlesen: 

Aurobindo: Life Devine, Book II, Chapter VI, Reality and the Cosmic Illusion.

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