“the eye thinks even more than it listens” (Deleuze)
Ich erinnere mich nun, dass ich, bevor ich angefangen habe Deleuze zu lesen, mich an einer Prozessästhetik abgearbeitet hatte. Ich habe ein 100 Seiten Manuskript gebastelt, mit Notizen, Zitaten, Strukturskizzen. Ich wollte weg von der Idee, dass Kunst aus Objekten besteht, die in einer besonderen Form wahrgenommen werden, denn daraus ergeben sich zwei wesentliche Stränge von Überlegungen: 1.) was macht ein Objekt aus, das wir als Kunst bezeichnen und 2.) wieso ist die Wahrnehmung von Kunst anders als alltägliche Wahrnehmung? Es gibt unzählige Theorien zu beiden Strängen, manche verbinden sie, manchen entscheiden sich für den einen anderen.
Mir war das aber irgendwie immer suspekt: die Relation Kunstobjekt <-> wahrnehmendes Subjekt. Da ist wieder dieser Dualismus, der von einigen radikal aufzulösen versucht wurde, indem man sich für eine der beiden Seiten dieser Relation auf Kosten der anderen entscheidet. Ein Streit zwischen Idealismus, Materialismus und Empirismus. Die Philosophie, so schiene mir, hatte sich da ganz ordentlich verzettelt. Das Feld der philosophischen Ästhetik gilt ja nicht zu Unrecht als unüberschaubar, mitunter als weich und inkonsistent, etwas für Philosophen, die am Abenteuer des Denkens mehr Gefallen finden als an der Wahrheitssuche. Und darum geht es ja auch, um das Gefallen.
Kunst
Ich habe da einen Weg herausgesucht, ohne das ästhetisches Denken verlassen zu müssen. Mir schien, dass der einzige Weg diesem Dualismus etwas entgegenzusetzen, eine andere Ontologie sei. Eine Ontologie des Prozesses. Ich las H. Bergson und N. Whitehead und suchte in der Kunstwelt nach Kunstwerken, die das thematisierten. Kunstwerke, die als Medium die Zeit haben, boten sich an: Film und interaktive Installationen. Mir schien ein wesentlicher Aspekt dieser Kunst der Übergang von einem Zustand in einen anderen zu sein, von einem Bild zum nächsten („Film ist die Wahrheit – 24 mal in der Sekunde“, Godard).
Bzw. zwischen Buchstaben. Hier fand ich Paul de Marinis Messenger (1998) faszinierend und kontrastierte das mit Nacy Holt & Richard Serra „Boomerang“ (1974). Beides sind Werke, die Sprache so weit dehnen, dass die Zwischenräume zwischen den Buchstaben und Wörtern wahrnehmbar werden. Ein tieferes Nachdenken hat dann für mich gezeigt, dass diese Zwischenräume eigentlich genauso bedeutungslos sind wie die Buchstaben und Wörter selbst. Bedeutung, Sinn, Aussage, Schönheit, Reflexion von – was genau? Sie verweisen auf den Prozess des Denkens und der Kommunikation selbst hin. Für mich war dies der Zugang zu Kunst, die nicht auf einer wie auch immer gearteten Repräsentation beruht. Denn auch hier in diesem fatalen Konzept Repräsentation ist der Sündenfall des Dualismus.
“This is the dark thought I have had about representation for so long: we are immersed in it and it has become inseparable from our condition. It has created a world, a cosmos even, of false problems such that we have lost our true freedom: that of invention.” (Dorothea Olkowski, p.91)
Es war dieser Satz, der mir plötzlich eine Tür öffnete zu einem anderen Denken. Ich wollte zurück zum Ursprung, den Ursprung der Sprache und des Ausdrucks, nicht als etwas streng definiertem, sondern als Schöpfungsakt ist.
Prozessästhetik
Dieser kreative Akt ist ein Prozess, der immer Prozess bleibt, er bringt kein Objekt oder Subjekt hervor, sondern einen nicht endenden Prozess. Kunst schaffen, Kunst rezipieren, Kunst dokumentieren und aufbewahren sind alles nur Phasen eines Prozesses, innerhalb dessen das, was wir Kunst nennen, sich unterschiedlich manifestiert. Es gibt keine Kunst, nur einen ästhetischen Prozess, die Reflexion darüber nannte ich Prozessästhetik. Wie schon oben erwähnt, ich hatte mich da ganz ordentlich verheddert.
Im Kern halte ich jedoch an der Denkrichtung fest, und fand eine Art Echo in den Gedanken Gilles Deleuze:
“Something in the world forces us to think. This something is not an object of recognition, but a fundamental encounter.” Gilles Deleuze – Difference and repetition p. 139
Diese Begegnung, was ist das? Auf einer Alltagsebene kennen wir das, wenn ein Kunstwerk irgendwie zu uns spricht, was auch immer das jetzt heißen mag.
Ich denke, dass mich das Nachdenken über eine Prozessästhetik und das Abenteuer von Deleuze nun zu den Upanischaden geführt hat. Hier, in einem zyklischen und wechselwirkenden Denken, begegnet sich das Selbst mit ich selbst. Es ist vielleicht auch genau jene Tautologie, die im Zentrum idealistischer Selbstbewusstseinstheorien wie bei Hegel steht.
Das Ganze ist ein Prozess, der zu keiner Zeit eine wesentliche Bedeutung hat, er steht für nichts, er repräsentiert nichts, er existiert lediglich, um sich selbst zu erfahren.
Om Namah Shivaya
Olkowski, Dorothea. Gilles Deleuze and the Ruin of Representation. Berkeley: University of California Press, 1999.