Dhrupad Archive - New Spirits - Reading Deleuze in India https://readingdeleuzeinindia.org/de/tag/dhrupad/ Bewusstsein existiert nur in Verbindung mit anderem Bewusstsein Sun, 24 Aug 2025 04:46:19 +0000 de hourly 1 https://readingdeleuzeinindia.org/wp-content/uploads/2022/06/cropped-small_IMG_6014-32x32.jpeg Dhrupad Archive - New Spirits - Reading Deleuze in India https://readingdeleuzeinindia.org/de/tag/dhrupad/ 32 32 Zwischentöne: Nada Yoga und die Welt des Dhrupad https://readingdeleuzeinindia.org/de/zwischentoene-nada-yoga-und-die-welt-des-dhrupad/ Thu, 07 Sep 2023 03:04:40 +0000 https://readingdeleuzeinindia.org/?p=4476

Erfahren Sie, wie ein 3-tägiger Intensivworkshop im Sunlit Path mit Niloy zum Eintauchen in die Welt des Dhrupad führte. Entdecken Sie die Komplexität von Dhrupad und Nada Yoga - die Erkundung von Klang und Vibration. Schärfen Sie Ihre Sinne und tauchen Sie ein in die Klangkunst.

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Ich hatte das Glück einen 3-tage Intensivworkshop im Sunlit Path mit Niloy erleben zu dürfen. Ganz im Gegensatz zu der Tradition des langsamen, konzentrierte, hingebungsvollen lernen über Jahrzehnte hinweg von einem Guru führte Niloy ein in die Welt des Dhrupad. Für jemand wie mich, der sich zutiefst hingezogen fühlt zu dieser meditativen und philosophisch Klangkunst, war das ein Geschenk. Dhrupad ist so komplex, dass eine Einführung gut tut.

Was ist ein Ton?

Die klassische westliche Harmonik unterteilt eine Oktave in 8 Töne, nimmt man die Halbtöne hinzu, sind es 12. Jeder dieser Töne kann als Grundton für eine Tonskala dienen, diese kann wiederum in Dur oder Moll ausgerichtete sein. Werden die Halbtöne von einem unteren Ton auf einen höherer ‚gerechnet‘ ist dieser strahlend, eine Durtonleiter ist erzeugt. Wird der Halbton von einem Höheren runtergerechnete, ist dieser etwas tiefer, die Tonleiter ist etwas dunkler. Johann Sebastian Bach hat mit seiner wohltemperierten Stimmung des Klaviers dieser Halbtöne gemittelt, da sie sich eigentlich nur im Mikrointervall unterscheiden. Der Vorteil liegt technisch auf der Hand: Das Klavier kann alle Harmonien spiegel, der Harmonische Zirkel ist auf dem Klavier implementiert. Als Pianist und Organist war ihm das wichtig. Für die Musikgeschichte erzeugte es eine Harmonik der Pragmatismus. La Monte Yung stimmte das Klavier für eine Well-tuned Piano wieder mathematisch sauber. Als ich das zum ersten Mal hörte, war das eine unglaubliche Befreiung. Die ganze Zeit hatte ich nur Musik gehört, die wohltemperiert war und nicht well-tuned. Es sind aber genau jene feinen Unterschiede, die bei Dhrupad im Zentrum stehen.

Nada Yoga

Nada Yoga der Yoga des Klangs ist die Erkundung des Klangs, der Töne, der Vibration. Niloy erzählte ganz nebenbei anekdotisch, dass einer seiner Schüler etwas skeptisch war in Bezug auf seine Fähigkeit Mikrointervalle zu hören und zu singen. Er brachte ein Messgerät mit und an diesem Tag, ein ganz normaler Tag für Niloy, ein durchschnittlicher Tag also, an diesem Tag konnte Niloy 17 Mikrotöne in einem Tonintervall produzieren, das heißt mit seiner Stimme halten. Bei einer Oktave mit 8 Tonintervallen wäre das also 133 Mikrointervalle. Auf einem anderen Workshop mit Ustad Bahauddin Dagar, demonstrierte Dagar auf der Veena 7 Mikrotöne in einem Tonintervall, die wir alle gut nachvollziehen konnte. Allerdings sagte Dagar, dass er mit mindestens 12 Mikrotönen arbeitet und wesentlich mehr zur Verfügung stehen. Aber eben nicht jeder das nachvollziehen kann. Um das tun zu können, muss das Ohr und die Stimme und das Instrument geübt werden – Nada Yoga. Die Sinne schärfen, erkunden, was die Welt des Klangs des menschlichen Wahrnehmungsapparates zu bieten hat.

Upanischaden

Die Kena Upanischade fragt, wer beim Hören hört, wer beim Sehen sieht, wer beim Denken denkt. Wer hört, wenn ‚ich‘ höre? Was ist hören? Welche Verbindung erzeugt das Hören zur Welt? In den Upanischaden ist die Grundlage der Welt wie wir sie kennen Vibration, die Physik sagt Energie. Vibration ist eine Schwingung, Materie schwingt, Licht schwingt, Klang schwingt. Schwingungen sind die Basis. In der Physik kommt hier nicht Kraft hinzu: Gravitationskraft und Impulskraft z. B. Ausgespart bleibt die Kraft des Bewusstseins. In den Vedas sind Kräfte mit den Kühen und Pferden versinnbildlicht. Sie stehen für die Kräfte des Universums. Und wenn man einige Tausend Kühe auf Indiens Straßen gesehen hat, wird auch allmählich klar, wo dieses Bild herkommt.

Aber zurück, der Klang als Vibration, der also von wem gehört wird? Es gibt eine Vibration in der Welt, es gibt einen Wahrnehmungsapparat, der diese Vibration aufnimmt und übersetzt und es gibt ein Bewusstsein, das diese erlebt. Die Rishis wussten, dass das Bewusstsein strukturell ähnlich sein muss wie das, was die Welt konstituiert und was die Sinne vermitteln. Wie sollte auch anders funktionieren? Da in dieser Denktradition Vibration die Basis von allem ist, gibt es natürlich ein Bild und eine Urform, das ist OM, der Urklang und er ist beschrieben in der Mandukia Upanischad. In der Nada Yoga geht es nur auch darum, diesen Zusammenhang zu erkunden. Die älteste Tradition dies zu tun ist Dhrupad.

Dhrupad

Nach diesen kurzen Überlegungen verwundert es nicht, dass die Ragas nicht notiert sind. Es gibt kein Notationssytem für Dhrupad. Eine Raga ist eigentlich nur eine Tonskala, die als Grundlage für eine Praxis dient. Es gibt morgen, mittags und abends Ragas und natürlich früh morgens und spät abends und sonnenhöchstand Ragas, Monsun Ragas und Festragas usw. Die über 3000 Jahre alte Tradition des Dhrupad, die Urform klassischer indischer Musik hat über die Jahrtausende viel wahrgenommen. Wer hört beim Hören? Was ist Dhrupad? Es wird klar, dass es hier sehr schnell philosophisch wird.

Dhrupad ist eine lebendige Tradition, sie wird von Lehrern an Schüler weitergegeben. Ein ganz zentrales Element des Dhrupad ist die Erkundung von Tönen, Zwischentönen und dem Weg von einem Ton zum nächsten. Wenn eine Monsun Raga, Rag Megh z. B., eine Skala von 6 Tönen bildet: Sa, Re, Ma, Pa, ni, Sa‘ so ist das das Grundgerüst. Zwischen den Tönen gibt es unzählige Phrasierungen. Und statt Sa‘, Re, Ma, Pa, ni, Sa können Silben verwendet werden, die sich z. B. aus dem Bījamantra ableiten. Es wird also schnell sehr komplex. Das Erlernen von Dhrupad ist das Lernen dieser unzähligen Techniken. Eine Ausführung einer Raga – ich sträube mich Aufführung zu sagen, denn es geht natürlich nicht um eine Konzertform, sondern um Nada Yoga – eine Ausführung also ist eine sehr strukturierte Meditation, die nur ausgesprochen oberflächlich einer Jazzimprovisation gleicht. Keine Raga ist gleich.

Wenn man sich nun der Welt des Dhrupad öffnet, so geht es um ein ganz anderes Hören. Es gibt keine richtigen oder falschen Töne. Einen Ton zu erzeugen heißt ihn hervorzubringen. Wo kommt er her? Beim Singen fängt es mit dem Atem an, mit dem Körper, der Sitzhaltung, einem ruhigen Geist. Unsere Stimme ist kein technischer Apparat. Das Ansetzen eines Tones ist der Schwingen lassen der Stimmbänder. Den ‚richtigen‘ Ton zu finden, ist eine Suche auf diesen Stimmbändern. Profis sind so schnell und präzise, dass ein Zuhörer das nicht hört. Genau darum geht es aber bei Dhrupad. Wie erzeuge ich einen Ton, steuere ich von unten noch oben auf ihn zu oder von oben nach unten? Umkreise ich ihn oder halte ich ihn, gebe ich Nachdruck, ziehe ich ihn heran oder projiziere ich in. Bevor ich also den ersten Ton hervorbringe, bin ich eigentlich schon um Mysterium der Welt. Es geht immer um Vibration – OM. Nun, da die erste Vibration da ist, wie geht es weiter? Wie komme ich zum nächsten Ton? Was ist Klang? Es geht hier also gar nicht so sehr um den Begriff der Musik. Es ist Nada Yoga.

Sprache

Mich fasziniert natürlich die Verbindung zur Sprache. Sprache ist Klang, Mantras sind Wissen in seiner kompaktesten Form, OM in seiner kürzesten Form beinhaltet den Atem, den Sprechapparat, die Chakren. Dhrupad spürt in Form von Nada Yoga diesem Wissen nach, aber ist sich des Werkzeugcharakters bewusst. So wie das Zeigen auf etwas eben auf etwas verweist und kein Selbstzweck ist (der Zeigestock ist nicht das, auf das er verweist), so ist die Erkenntnis im Dhrupad jenseits von Sprache und Klang. Die Silben des Bījamantra werden so reduziert, dass ihre sprachliche Referenz aufgelöst wird. Das, worum es geht, kann weder in Sprache noch in Musik ausgedrückt werden. Die Suche nach der Wahrheit ist ein Pfad, Nada Yoga einer seiner Wege, Dhrupad seine Form. Dhrupad beinhaltet alles, was wichtig ist, sagt Niloy.

Man könnte auch sagen, es sei reine Dekonstruktion im Sinne postmoderner Philosophie.

 

Listen: https://archive.org/details/audio?query=dhrupad

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Die Macht der Musik: Eine Meditation über Bewusstsein und innere Räume https://readingdeleuzeinindia.org/de/die-macht-der-musik-eine-meditation-ueber-bewusstsein-und-innere-raeume/ Tue, 23 May 2023 04:11:37 +0000 https://readingdeleuzeinindia.org/?p=4104 Trichy-Amma Mandapam

erfahren wir die Kraft des Bewusstseins durch die Vermischung verschiedener Vibrationen. Dieser Text erforscht die Konstitution des Bewusstseins in einem meditativen Zustand.

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Trichy-Amma Mandapam

Soweit mein Gedächtnis zurückreicht, erinnere ich mich, dass ich immer gerne Musik gehört habe. Es ist eine Sache der Konzentration, des Genusses, der Hingabe, der Selbstauflösung. Es war mir immer ein Rätsel, was diese Kraft der Musik ist, denn sie ist ja sehr flüchtig, ephemere, sie kommt meist aus einem Lautsprecher. Ein technischer Apparat produziert Schallwellen und die Zuhörer versinken in inneren Landschaften. Was passiert da? Es ist die Vibration. In der Kenaupanischade wurde deutlich, dass die Vermischung verschiedener Vibrationen Bewusstsein konstituiert.

Ich möchte das heute versuchen, etwas zu differenzieren. Ausgehend von einem meditativen Zustand stellt sich die Frag nach der qualitativen Konstitution dieses Bewusstseins. Im Zustand hoher Konzentration werden die Sinneseindrücke von außen reduziert. Es ist nicht wirklich möglich, die Außenwelt stumm zuschalten, aber es ist eben möglich, sich so zu konzentrieren, dass die Sinneseindrücke in einer ersten Stufe eben als solche wahrgenommen werden und in einer zweiten Stufe aus dem Bewusstsein ‚entlassen‘ werden. Es ist weniger eine phänomenologische Epoche, in der die Existenz der Außenwelt in eine epistemische Klammer gesetzt wird, also die Frage nach deren Existenz offen gehalten wird, sondern eher ein Entzug der Aufmerksamkeit. Es ist eine teilnahmslose Beobachtung: Ah dieser Eindruck ist nun präsent, oder dieser Gedanke kommt, oder jene Erinnerung erscheint… All diese als das, was sie sind, vorbeiziehen zu lassen, ist eine erste Stufe der Meditation. In einer inneren Schau wird dann deutlich, wie sich Bewusstsein konstituiert.

Innere Räume

Ein Raum, der erfüllt ist von Bewusstsein, eröffnet sich. Das reagiert jedoch nicht auf Sinnesreize, sondern rein und klar ist. Hier zeigen sich die Kräfte des Bewusstseins: mein Körper (Materie), mein Atem (die Lebensenergie/Prana), mein Geist (der analysiert und visualisiert), die Erfahrung von Dasein (Entzücken/Annanda), reines Bewusstsein (Chit). In diesem Bewusstsein, das sich seiner verschiedenen Ebenen bewusst ist, bewegt sich das selbst frei. Hier begegnet sich das Selbst (Atman) mit der Seele (Puruscha) und erahnt, dass Bewusstsein an sich, das alles umfasst (Brahman) der Schöpfer ist (Sat). Hier werden dann auch die Kräfte unserer Welt als solche sichtbar: Liebe, Krieg, Mitgefühl, Genuß, Schönheit, Leid in all ihren Ausformungen. Sie sind real in unserem Bewusstsein und es ergibt wenig Sinn, sie zu leugnen. Wir erfahren sie, und wir benennen sie und wir kommunizieren und teilen sie, wir leben sie aus und verwirklichen sie, sie werden zu ganz realen Kräften der Welt, wirken in ihnen. All das ist unbestreitbar. Es ist ein wenig schwer erklärbar und deshalb tut die Wissenschaft oft so, als ob sie epiphenomenal seien, also bloß unbedeutende Begleiterscheinungen physikalischer Prozesse. Aber das ist nicht sehr klug, da es uns unserer eigenen Essenz beraubt.

Musik

Ich habe hier ein wenig ausgeholt, weil ich denke, dass dieser innere Raum einige Vorzimmer hat, und die Kunst belegt ganz viele dieser Vorzimmer. In der Musik z. B. trete ich ein in einen inneren Raum, der durch Vibrationen erzeugt wird. In ihm kann ich mich frei bewegen, denn die Musik hilft mir, alles was nicht Musik ist, vorbeiziehen zu lassen. In diesem Raum also kann ich dann innere Reisen vollziehen, deshalb gehen wir immer wieder in musikalische Räume, wenn wir glücklich oder traurig sind. Wir durchleben vergangene Erfahrungen erneut und verarbeiten sie. Dies sind grundlegende psychologische Prinzipien. Aber auch hier können wir die Leiter des Bewusstseins klettern. Unser Körper und unser Atem kann im Tanz erkundet werden, unser Geist kann die Musik visualisieren, ihre Struktur verdeutlichen, ihre Komposition, Durchführung, Interpretation vor das innere Auge bringen. Wenn ich mich aber wirklich konzentriert und kontemplativ der Musik hingeben, wie ich das am besten inzwischen bei Dhrupa von Bahauddin Dagar tue, dann wird die Musik zu reiner Sinnlichkeit (Rasa). Und plötzlich ist die Frage nicht mehr, wie ein technischer Apparat Schallwellen produzieren kann, die solch ein Bewusstsein erzeugen können. Diese Frage gehört der Welt des rationalen Geistes an. Die Musik selbst, also die Vibration, mit der sich mein Bewusstsein verschmelzt, eröffnet einen anderen Raum, einen Raum der Simulation, Kontemplation, Erkenntnis und des Lichts. Aktives Hören von Musik ist sehr nah an tiefer Meditation.

Worum es mir geht, ist der Erfahrung ihren Raum zu lassen und sie nicht in reduktionistischen Widersprüchen zu zerreiben. Musik findet in den Vorzimmern des meditativen Raumes statt. Und das ist fast identisch für Malerei, Skulptur, Tanz, Architektur, Literatur und Poesie etc… wenn ich mich auf ihre Kernqualitäten einlasse. Sie hat hier ihren Sinn. Die Frage, was Musik sei, ist zwar nicht vollständig beantwortet, aber mir ist ihre Funktion, ihr Sinn, ihre Wirkung nun etwas klarer. Es ist kein mysteriöses Geheimnis mehr, sondern ein wunderschönes Werkzeug. Sie gehört zu Saraswati.

Kunst, so scheint es mir inzwischen, wird in Indien von hier aus verstanden. Und von hier aus wird dann auch Ananda Coomaraswamy’s Kritik an westlicher Kunst als ‚retinal‚ klar.

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