Im Zen geht es darum, das wahre Selbst zu finden. Das gibt es aber nicht, und das ist das Mysterium unserer Existenz. In einer Welt der Repräsentationen, kognitiver Dissonanzen und alternativer Fakten tut es wohl, in das Wesen der Existenz, in ein nicht-duales Sein zu versinken. Denken hilft da nur sehr begrenzt, denn Denken ist ja eigentlich immer ein An-etwas-Denken, ein Über-etwas-Nachdenken. Denken ist eine Tätigkeit, die sich auf etwas bezieht, das sich mit Repräsentationen von Welt beschäftigt. Das, was ich denke, was auch immer es sei, ist nicht real im materiellen Sinn. Es kann etwas Materielles repräsentieren. Denken oder allgemeiner Geist und Materie denken wir verschieden. Das ist das Grundproblem des Denkens: Denken kann nicht nicht-dual sein. Es ist gefangen in der Dualität, kann diese aber nicht auflösen.
Das Selbst ist ganz anders, aber ähnlich in seinen Paradoxien. Das Selbst ist das, was uns antreibt, was uns bewusst sein lässt, das sich identifiziert und abgrenzt; es ist einzig und individuell. Es existiert aber nicht, weder materiell noch logisch-transzendental. Es mag verbunden sein mit der Seele, mit dem Herz-Geist, aber das hilft an dieser Stelle nicht weiter, weil es gefährlich tautologisch wird. Etwas, das wir nicht verstehen, können wir nicht dadurch verstehen, dass wir es mit etwas gleichsetzen, das wir auch nicht verstehen. Das lenkt nur ab.
Das wahre Selbst kommt dann zum Vorschein, wenn es aufhört zu existieren – und das meine ich ganz ernst. Wenn ich in die Meditation gehe, ruhig geworden bin und mich auf die Leere konzentriere, wenn also die Pausen zwischen den Ereignissen des Kopfkinos länger werden, öffnet sich ein Fenster, das sich zunächst füllt mit einer Art Trancezustand. Das ist schön und erlaubt ganz andere Erfahrungen. Ich habe schon ein paar Mal darüber geschrieben: Das Denken wird schnell, es versteht intuitiv, es kann in Gebiete eindringen, die dem Alltagsdenken versperrt bleiben; es ist Wonne und intensiv. Es hat sich aber nur ein Stück weit vom Selbst gelöst. Es muss sich ein wenig lösen vom Selbst, sonst kann es nicht diese Leichtigkeit gewinnen, aber es bleibt verankert im Selbst. Es bin immer noch ich, der da etwas tut, das schwer zu verstehen ist, und das sich in ähnlichen Problemen verfängt wie das normale Denken. Was ist real, was nur Einbildung?
Ich habe es also geschafft, mich ein bisschen zu befreien. Ich habe diese Gedanken, die sich auf die Welt beziehen, beruhigt, und ich habe ein Schauen aktiviert, das sich zwar speist aus Erinnerung, Wissen, Vision, Imagination, sich aber eben nur in jener Welt des reinen Bewusstseins bewegt. Es ist ein intuitives Wissen, eine Omnipräsenz, es ist nahezu außerhalb von Raum und Zeit; es ist der Ort, an dem es identisch ist mit sich selbst, d. h. das Selbst hört auf zu existieren und verbindet sich mit dem tiefsten Grund unserer Existenz. Der tiefste Grund unserer Existenz ist mysteriös und basiert auf etwas, das wir nicht erfassen können. Es ist jenseits unseres Selbst.
Zen führt mich heran an dieses Mysterium. Es ankert mich in meiner physischen Existenz und zeigt mir zugleich, dass diese Existenz nicht-dualistisch eins ist mit allem. Ich bin Buddha, du bist Buddha, wir alle sind Buddha. Es gibt nur Buddha – töte Buddha, wenn du ihn siehst.