Es gab eine Zeit in Europa, wo man davon sprach, dass es Universalgelehrte gab. In Deutschland wäre das Alexander von Humboldt, oder Goethe, in Frankreich ein Aufklärer, in Italien der Renaissance-Mann Leonardo Da Vinci. In der Antike Aristoteles, sicherlich gibt es in vielen Kulturen und Epochen weise Menschen, von denen die Geschichte erzählt, sie hätten alles gewusst, was man seinerzeit hätte wissen können.
Das ist natürlich Quatsch. Dieses Narrativ bedient aber eine Sehnsucht. Wir wollen alles Wissen, haben aber das Gefühl – zu Recht – nicht alles Wissen zu können und haben eine romantische Sehnsucht nach einer Zeit, wo dies scheinbar noch möglich war. Es stört uns nicht, dass das Wissen selbst begrenzt war – dort und dann. Es beruhigt uns aber, dass es scheinbar möglich gewesen wäre, alles zu wissen. Der Olymp könnte bestiegen werden, die Berg erklommen, auf dem die Gesetzestafeln empfangen würden. Dabei gibt es ja schon die Geschichte vom Turmbau zu Babel.
Turmbau zu Babel
In Babel wollten die Menschen alles wissen, sie bauten einen Turm, der alles Wissen beinhalten sollte. Das Resultat war eine Sprachverwirrung. Das Wissen zerfiel in viele Sprachen. Niemand spricht sie alle. In der Bibel ist das als Strafe Gottes dargestellt. Warnend sei die Arroganz bestraft worden, und der Mensch in seine Grenzen gewiesen. Wären wir aber nicht angeblich von Gott gestraft worden, könnten wir dann nicht vielleicht doch alles wissen? Dies ist die zentrale Frage. Wäre es prinzipiell möglich gewesen? Oder wird es in der Zukunft durch die Singularität möglich sein?
In der Philosophie stellt sich die Frage nach dem Anfang des Wissens. Auf welchem Fundament können wir das Wissen aufbauen? Logik, Ethik, Ästhetik? In der Wissenschaft geht es um die große vereinheitlichende Theorie, die den Mircokosmos und Makrokosmos zusammen bringt. Bei der Frage nach der Natur des Menschen wird es dann schon recht unübersichtlich. Wollen wir das religiös oder spirituell angehen, oder vielleicht doch darwinistisch oder informationstechnisch, kann uns die Geschichte hier Aufschluss geben? Gänzlich verloren sind wir, wenn es um unser ästhetisches Denken geht. Die Pluralität und der mediale Overkill bieten eine reine Reizüberflutung, die wir zu genießen scheinen. Ignorance is bliss.
Antriebskraft
Es scheint doch so klar, dass wir nicht alles wissen können. Wieso versuchen wir es dann immer weiter? Was treibt uns an? Eine Sehnsucht? Wurden wir wirklich aus dem Paradies vertrieben und suchen den Weg zurück? Oder sind wir evolutionär so gestrickt, dass wir nicht anders können? Gibt uns das Gefühl viel zu wissen Befriedigung, Macht oder Ruhe? Wie kommen wir darauf, dass unser kleines Gehirn von etwas über 1 Kilogramm, und im Vergleich zu Elefanten (4 Kilogramm) oder Pottwalen (9 Kilogramm) doch recht bescheiden ist, das Universum entschlüssel kann? Befinden wir uns vielleicht tatsächlich in einer Simulation und die Realität ist gar nicht das, was wir denken. Die verschiedenen Spielarten des Skeptizismus bieten hier schöne Gedankenexperimente. Vielleicht werden meine Sinne von außen manipuliert, vielleicht bin ich allein im Universum, vielleicht bin ich noch gar nicht erwacht und warte in einem Vorzimmer auf den nächsten Level…
Wir folgen einem Leistungswahn. Wenn ein Mensch etwas hervorgebracht hat, das neu ist, so wird er oder sie von der Gesellschaft gefeiert. Das treibt uns an. Wir sind fasziniert von ‚Höchstleitungen‘. Wir beten sie an, oder gehen in einen Wettstreit. Nur wenige sind demgegenüber gleichgültig. Vielleicht ist es das, was uns von unseren intelligenten Mitbewohnern auf dem Planeten unterscheidet.
Wir erzeugen Bedürfnisse, um sie zu befriedigen: Wissen, Kultur, Genuss, Sinnlichkeit, Soziales, Macht… Wir streben nach mehr. Der Buddhismus sieht hier die Wurzel des Leidens. Die einzige Möglichkeit dieses Leid zu beenden ist das Wollen, Streben, Verlangen zur Ruhe zu bringen.
Deleuze stellt dem das Werden gegenüber. Anstatt die Welt weiter zu systematisieren, und unseren Pathologien freien Lauf zu lassen, können wir darauf achten, was wir alles werden können, anderes werden, Sein statt Haben. Wir sind flexibel, flüssig, feucht.
Ich habe das Gefühl, dass die Upanischaden hier noch viel bereithalten. Alles wissen zu wollen enthält ja auch eine Sehnsucht nach Einheit. Im 20sten Jahrhundert haben wir erlebt, dass dieser Einheit etwas sehr Totalitäres innewohnt. Wann wurde diese Einheit zerbrochen? Wann wurden wir aus dem Paradies vertrieben? Lässt sich das historisch festmachen? Ist das eine absurde Frage? Lässt sich der Sündenfall umkehren oder auflösen?