Vor meiner Tür ist ein weicher roter Sandboden. Er wird mehrmals die Woche mit einem Bündel von Palmenblättern gefegt und sieht wunderschön aus. Ich denke immer noch über den gleichen Tempel in Irumbai nach. Seine Geschichte wird immer komplexer, und so tauche ich nun in die Tantraphilosophie ein. Dazu besuchte ich vor einigen Monaten einen Workshop. Wir lernten eine kleine Meditationsübung, die ich heute wieder ausprobierte: Wähle zwei Objekte und schaue sie abwechselnd an, wobei du den Namen des Objektes denkst. Dann schaue abwechselnd auf die Objekte und denke den jeweiligen Namen des anderen Objektes. Und dann schaue zwischen die Objekte. Ich habe das ein wenig variiert, Regeln sind nicht so meine Stärke.
Ich bin also vor meiner Tür zwischen meinem Motorrad und einem Busch hin und her gelaufen. 35 Schritte liegen zwischen ihnen, und wenn ich auf das Motorrad zulief, habe ich „Busch“ gedacht, und beim Umkehren, auf den Busch zulaufend, habe ich „Motorrad“ gedacht. Was passiert? Zuerst erschien das albern. Okay. Dann habe ich gemerkt, dass ich so nicht denken kann. Auch okay. Dann habe ich gemerkt, dass ich so nicht analytisch sehen kann. Das wurde langsam interessant. Ich konnte, auf das Motorrad zulaufend und „Busch“ denkend, nicht analysieren, wie das Motorrad beschaffen ist, z.B. dass es zwei Räder hat oder blau ist. Wenn ich das getan habe, musste ich den Busch loslassen. Also zurück zum Buschdenken und Motorradsehen. Das Motorrad war deutlich sichtbar, aber eben nur als Objekt, so wie es sich mir präsentierte.
Ich frage mich nun natürlich, inwiefern die Sprache das Denken und das Wahrnehmen bestimmt. Passt der Begriff nicht mit der Wahrnehmung zusammen, können wir nicht weiterdenken. Schaue ich den Raum dazwischen, ist meiner Fantasie keine Grenze gesetzt. Ich kann darüber nachdenken, wo ich so herumgefahren bin und welche Büsche ich gesehen habe oder an etwas ganz anderes, das mein Geist gerade spannend findet.
Gehe ich dann aber wieder auf das Motorrad zu und denke „Motorrad“, so kann ich meinem analytischen Blick freien Lauf lassen. Mit rasender Geschwindigkeit kann ich Räder, Rahmen, Farbe, Lenkrad etc. identifizieren, klassifizieren und vergleichen. Was sagt mir das alles? Zuerst einmal lerne ich etwas über Sprache, Denken, Wahrnehmung und wie das miteinander verschränkt ist. Dann lerne ich etwas über Bewegung im Raum, Laufen, Körperlichkeit; ich spüre meine Füße und zähle die Schritte. Ich merke, dass ich durstig bin, ich höre die Vögel… und dann realisiere ich, dass die Welt wohl etwas komplexer ist, als sich das mein kleines Hirn so denkt.
Ich werde bewusster (5 Tattvas): mein Bewusstsein, mein Ich, mein Denkvermögen, meine Natur, meine sinnliches Denke und dann die äusseren (5) und inneren (5) Sinne, mein Tun (5) die Elements (5)… All dies ist systematisiert in den 25 Tattvas. Wenn ich nun zu den 25 Grundtattvas die 11 Tantra Tattvas (5 Shiva, 5 Shakti, und die Welt der Illusion (1) hinzunehme, also 36 Tattvas, dann kommen Natur, Shiva, Zeit und Raum etc. hinzu. Ich steige also etwas tiefer in Tantra ein. Ich werde wohl weiter vor meiner Tür auf und ab laufen und meinen Nachbarn den Kopf schütteln lassen.
OM
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Hier zu den Grundtattvas