Università

Neulich erzählte mir eine Freundin, wie sie in der Aschramschule aufgewachsen war. Mirra Alfassa gründete diese Schule mit einer radikalen Pädagogik. Kinder konnten frei wählen, was sie wann lernen wollen. Ganz radikal: Es gab zwar einen Stundenplan für Sprachen, Geschichte, Mathematik, Philosophie, Klatsch und Tratsch, Sport usw., doch konnten die Kids dorthin gehen, wo sie wollten. Und so bekam jedes Kind genau das, was es für seine eigene Entwicklung benötigte. Wenn ein Kind Klatsch und Tratsch benötigte, dann war das eben so, dieses Bedürfnis wurde dann abgearbeitet und nach einigen Wochen kam dann das Interesse für Philosophie oder Sprachen…. Die Schule bot Lernangebote bis zum B. A. an, der vom Staat Indien anerkannt wurde, und international transferierbar ist. Das ist bis heute noch so, wenn ich das richtig verstanden habe.

Als Auroville eine Schule wollte, planten die Aurovillianer eine Schule mit einem offenen Curriculum. Als die Aurovillianer Mirra Alfassa recht stolz fragten, wie sie das findet und welchen Namen sie der Schule geben sollte, sagte sie etwas unwillig „Last School“. Sie mochte keine Schulen.

Und schließlich sei noch erwähnt, dass Auroville sich als ‚living university‘ versteht, als ein offenes Laboratorium. Als hier öfter diskutiert wurde, eine Auroville-Universität zu gründen, gab es viel Widerstand. Die Logik von Abschlüssen, strengem Curriculum, Fachdisziplinen passt nicht in das Selbstverständnis von Auroville.

Humboldt-Ideal

Mich erinnert das ein wenig an meine eigene Studienzeit in Deutschland. Ich studierte vor dem Bologna-Prozess, d. h., in einem Universitätssystem, in dem ich alle Seminare frei besuchen konnte. Niemand hat aufgeschrieben, wer wann kam. Es gab keine Aufgaben, manchmal gab es Klausuren, in den Geisteswissenschaften waren die Seminararbeiten aber üblich. Wollte man einen Leistungsnachweis, reichte man eine Seminararbeit ein. War die gut, zeigte das ja, dass man sich mit dem Thema auseinandergesetzt hatte. Wie oft man in dem Seminar war, spielte keine Rolle. Und es ging natürlich auch nicht darum, den Stoff der Dozenten wiederzukäuen. Das Thema der Arbeit musste in das allgemeine Thema des Seminars passen, ansonsten war das frei. Wir nannten das Humboldt-Ideal. Forschung und Lehre waren eins. Dozenten forschten und teilten ihren Forschungsprozess mit den Studenten. Diese lernten das Prinzip Forschung und schrieben ihre eigenen Arbeiten.

Die Zwischenprüfung demonstrierte, dass man sich in eine Disziplin eingearbeitet hatte. Die Magisterarbeit zeigte, dass man nun die Grundprinzipien der Forschung beherrscht, d. h. Recherche, Argumentation, Gliederung, Ausdruck – das Ganze eingebettet in ein Thema, das versucht, eine Forschungsfrage überblicksartig abzubilden und eine Fragestellung zu formulieren. Die Doktorarbeit zeigt dann, dass man in der Lage ist, eigenständig eine neue Frage zu formulieren, eine Frage oder ein Thema zu erschließen, das bis zu dem Zeitpunkt bisher nicht bearbeitet wurde. Eine Habilitation dokumentiert, dass man einen neuen Beitrag zu einer ganzen Disziplin geleistet hat.

Mir schien dies immer das Ideal der freien Lehre zu sein. Ich halte nicht viel vom Bologna-Prozess – der amerikanischen Weise, das Schul- und Universitätssystem nach Credits flexibel in Leitungseinheiten zu gliedern, die dann wiederum standardisiert sind und daher leicht transferierbar sind zwischen Institutionen und Ländern. Ich sehe die Vorteile für eine Bildungsindustrie, aber das hat wenig mit dem menschlichen Geist zu tun.

Synthesis des Yoga

Auroville basiert zu einem großen Teil auf der Idee der Synthese des Yoga. Sri Aurobindo hat damit einen Begriff definiert, der wesentlich mehr umfasst als die Welt der Begriffe. Es ist eine Lehre, die mehr ist als eine Schule. Es geht darum, die menschliche Existenz ganzheitlich zu verstehen und in seiner Spiritualität zu verankern. Im Zentrum steht die Selbsterkenntnis, die über das eigene Selbst hinausweist. Die Erkenntnis des Selbst, das sich in der Welt manifestiert. Es geht um die Frage nach dem Bewusstsein, das in seiner reinsten Form nur in der Meditation erfahrbar ist. Hier, in der Meditation, d. h. in der radikalen Reduktion auf das eigene Bewusstsein, ist der Keim alles Wissens. Nur von hier aus können wir die Welt verstehen.

Es ist daher zentral, dass junge Menschen sich frei entfalten dürfen und nicht von Anfang an mit einem abstrakten Wissenssystem überformt werden, das nicht in der Lebensrealität, der eigenen Entwicklung und den eigenen Interessen verankert ist. Lernen ist ein intrinsischer Drang aller Menschen. Wir wollen lernen und wachsen, wir müssen nicht dazu gezwungen werden. Die Tatsache, dass vieles dessen, was in einem freien Umfeld gelernt wird, nicht in eine kapitalistische Wertschöpfungskette passte, sollte nicht dazu verleiten, dieses Lernen kritisch zu hinterfragen, sondern den Kapitalismus zu hinterfragen.

Im Zentrum des Lernens steht also die Erkenntnis des Selbst, nichts sonst, dies aber allumfassend. Hier ist Keim der Synthese des Yoga und einer radikalen Pädagogik. Es gibt hier keinen Raum für Bologna-Prozesse, sondern einen freien Ort, sich mit dem zu beschäftigen, was allein zählt: der Erkundung des Bewusstseins. Nur auf diesem Fundament sollten dann die einzelnen Disziplinen fußen. Alles andere ist entfremdet. Marx lässt grüßen, wenn auch von der anderen Seite der sieben Flüsse.

AUM

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