Ich denke nach über Deleuze, die Bewegung des Werdens (becoming). Um den Klang des Baches auszulöschen, muss ich der Klang werden; um in den Bach einzutreten, werde ich Teil von ihm. Wenn ich im Wald verweile, nehme ich teil an der Stille und dem Zwitschern, dem Rauschen der Blätter. Ich werde eins mit der Natur.
Jene Vorstellung der Romantik – das Einssein mit der Natur, mit einem geliebten Menschen, mit dem Kosmos, mit Gott – erzeugt Seligkeit, Wonne, Bliss, Ananda. Gewiss benutzt Deleuze nicht jene Begriffe. Seine Philosophie der Immanenz, der Nondualität, versucht die Veränderungen der Welt, ihr Werden und Zerfallen, ihre Konstruktion, ihren Aufbau, ihre Ordnung, ihre Gesetze und Dynamiken zu beschreiben durch Begriffe wie Werden, Deterritorialisierung, Flug, Rhizom, Wiederholung, Rhythmus etc. zu fassen. Seine Philosophie bleibt jedoch im Wesentlichen Bewegung des Begriffs.
Zwar löst er sich aus der Starre angloamerikanischer Sprachphilosophie, die sich auf einen empirischen Wahrheitsbegriff fokussiert, und versucht stattdessen Bewegungen des Denkens zu beschreiben, die eine komplexere Realität abbilden. Die zentrale Frage bleibt jedoch, wie unser Denken, unsere Wahrnehmung, unsere Erfahrung, unser Sein sich auf etwas außerhalb unseres Selbst richten kann – wie unser Bewusstsein etwas in sich selbst hineinziehen, es verarbeiten, analysieren, betrachten und erfahren kann. Wie kann mein Bewusstsein eins werden mit dem, was es als Gegenstand hat? Jenes Grundproblem fast aller westlicher Dualismus-Modelle kann eigentlich nur durch Immanenz aufgelöst werden.
Wenn ich in meiner Vorstellung in einen Bach eintrete und versuche, den Klang auszuschalten, so muss ich eins werden mit jenem Bach. Wie werde ich eins – egal, ob ich nun real in den Bach steige oder mir das nur vorstelle? Ich erfahre das in der Meditation so: Mein Bewusstsein sinkt ab in die Tiefen der Existenz, versteht sich als Teil des Ganzen, wird eins mit jenem Urbewusstsein, der Leere, Brahman, Existenz, und sieht sich als identisch mit dem, was es in seiner Selbsterfahrung ist.
Wenn ich einen Bach rauschen höre, ist das Rauschen nichts anderes als mein Bewusstsein selbst: die Vibration des Wassers und die Vibration der Luft, die Schwingungen und mein Ohr, das diese empfängt, mein Bewusstsein, das jene Ur-Resonanz ist, mit ihr identisch ist, alles in der Welt schon in sich enthält. Es ist ein wenig wie bei Leibniz’ Monade; auch er hatte da einen guten Gedanken, auch wenn er nicht eintaucht in die wirkliche Erfahrung, sondern auf der Ebene des Texts und der wahrheitsfähigen Aussagen stecken bleibt.
Ich werde (become) also eins mit dem, was es im Koan auszulöschen gilt. Indem ich identisch werde auf der tiefsten Ebene der Leere und ihre Form erkenne, kann ich dieser Form Ausdruck verleihen. Ich kann nun den Klang des Baches nachahmen oder seine Bewegung imitieren, ich kann darin baden und mit ihm fließen, oder ich kann ihn malen, vielleicht in einer Tuschezeichnung; ich kann ihn poetisch beschreiben oder sonstwie versuchen auszudrücken. Jener Ausdruck ist jedoch nicht identisch mit dem identisch Sein – er verweist darauf.