Koan

Ein Koan also. Ich hörte schon oft davon, jene mysteriösen Rätsel des Zen, die den Geist herausführen aus dem rein Rationalen und neue Formen der Einsicht eröffnen sollen. Ich beschloss, nicht viel darüber zu lesen und auch nicht andere danach zu fragen. Ich wollte eins von einem Zen-Meister bekommen. Während Doksan fragte er mich ein paar Dinge über mich. Wir schlossen die Augen, er lächelte und sagte, ich solle mir einen Wald vorstellen, in dem ein kleiner Bach fließt. Wenn ich in den Bach eintrete, wie lösche ich den Klang des Plätscherns aus? Ich solle nicht intellektuell darüber nachdenken, das Koan vielmehr mit mir tragen, in die Meditation mitnehmen, schauen, was passiert, und zurückkommen und darüber berichten.

Das Bild wirkte sofort in mir. Ich sah mich in den Wald, in dem Bach stehend, die bildhafte Metapher des Flusses, eines Stroms des Kosmos, das Wasser als Urelement, das Eintreten in den Fluss der Dinge und der Zeit, der Wald als Ort des Friedens, der Stabilität, der Natur. Die Geräusche des Waldes, die Vögel, das Plätschern, die eigenen Füße platschen im Wasser, das Rauschen und der Klang der Schritte. Wohin führt mein Weg? Alles ist im Fluss, ich bin gehalten in der Natur, ich agiere und schreite, alles verändert sich, und doch bleibt alles so, wie es ist. Ich könnte über dieses Bild noch sehr lange nachdenken, es auf mein Leben beziehen, die Veränderungen, die ich durchlebe, die Frage nach dem Sinn des Lebens und die Einfachheit der Antwort in der Natur und Kontemplation. Doch scheint mir dies nur der Anfang zu sein – das Beziehen auf sich selbst ein erster Schritt.

Zurück zur Frage: Warum soll ich eigentlich versuchen, den Klang auszuschalten? Ist da irgendetwas falsch am Klang des Wassers, seinem Rauschen und Plätschern, den Schritten im Bach? Wer sagt, dass diese Klänge falsch sind? Sie stören nicht, lenken nicht ab, gehören zum Schreiten dazu. Der Klang des Schreitens verstummt, wenn ich stehenbleibe, der Bach jedoch wird weiterrauschen, die Vögel weiter zwitschern, die Blätter im Wind rauschen. Ist die Frage des Koans vielleicht einfach so banal? Oder impliziert sie etwas, das hinterfragt werden kann? Vielleicht ist die Annahme, dass Stille besser sei, zu hinterfragen. Warum also Stille? Soll ich darüber nachdenken, wie ich mein Tun und Handeln anhalte, mich in Stille begebe, in Meditation, und mich öffne für Leere und Form? Wahrscheinlich ist hier schon etwas Relevantes.

Ich stelle also der reichen Metapher des Schreitens im Bach im Wald etwas entgegen: eine innere Kontemplation, eine Reflexion auf Leere und Form, ein Stillhalten und Bewusstwerden. Die äußeren Klänge, Bilder, Sinneseindrücke verhallen im Inneren; sie sind Projektionen innerhalb einer Vision, die ja gar nicht der Realität entspricht – denn ich stehe ja gar nicht im Bach, sondern schreibe gerade an meinem Computer oder sitze in Meditation. Ich habe es also mit einem Denkbild zu tun, das einlädt zur Meditation, und die Erkenntnis, die ich daraus ziehen soll, ist nicht die des Problemlösens. Ich kann hier weiterschreiten, ich könnte nun eintauchen in die Struktur des Denkens, der Sprache, der Bilder – Semiotik. Wie verhält sich die Frage als Satz zu der Vorstellung, und welche Art von Handeln ruft sie hervor, um welche Art von Erkenntnis zu produzieren? Das wäre ein schönes Projekt für ein Seminar – ein paar Wochen darüber nachzudenken, in den Traditionen westlicher Philosophie. Doch das wird sicher nicht Sinn und Zweck des Koans sein, mich dort zu verlieren. Herausführen aus diesem Labyrinth des rationalen Denkens soll das Koan ja.

Ein schöner kleiner Ausflug war das – der Nachhall meines Studiums der Philosophie. Ich versuche also einen anderen Pfad, den der Upanishaden, des tiefen Urozeans, in den die sieben Flüsse der Existenz einfließen, aus dem heraus sich aber zuallererst der Purusha selbst herauszieht und aus seinen Augen, Ohren, Zunge, Mund und Nase, Haaren und Gelenken alles erst entsteht. Eintauchen also in die Bedingungen meiner eigenen Existenz, meines Körpers, meines Atems, meines Denkens und Fühlens. Einschreiten in den Fluss, meine Füße benetzen mit dem Wasser, die Sinne als Sinne wahrnehmen, sie als äußere und innere unterscheiden. Und dann aber die Aufgabe, die Frage: Wie kann ich den Klang zum Schweigen bringen? Und warum sollte ich das tun wollen?

Warum soll ich mich mit so einer Frage überhaupt beschäftigen? Sie dient mir jetzt schon recht gut, um meine Eitelkeit zur Schau zu stellen, zu demonstrieren, in welchen Denkschulen ich mich komfortabel bewege. Wieso sitze ich in einem Zen-Meditationszentrum seit zwei Wochen und versuche, mich auf Zen einzulassen, von einem Lehrer mittels eines Koans etwas zu lernen? Was hat er mir zu zeigen? Wohin mag der Weg führen? Ist das Koan ein Werkzeug, um in den Dialog zu gehen, und ist mein Versuch, mich ihm durch Schreiben zu nähern, eine Ausflucht – ein schüchterner Versuch, die Begegnung herauszuziehen?

 

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